Trauer und Ängste«Ich kann mir nicht vorstellen, ohne meine Mutter zu leben»
Zittrige Hände, langsamer Gang, immer mehr Fältchen im Gesicht: Zuzusehen, wie die eigenen Eltern älter werden, ist für viele ein einschneidendes Erlebnis. So auch für die 20-Minuten-Community.
Darum gehts
Den eigenen Eltern beim Altern zuzusehen, ist für viele ein emotionales Thema.
Noch belastender wird die Situation, wenn die Eltern gepflegt werden müssen.
Die 20-Minuten-Community erzählt von ihren Erfahrungen.
Viele Menschen stützen sich weit über die Kindheit hinaus stark an ihren Eltern ab: Man fragt um Rat, Hilfe beim Zügeln oder Unterstützung bei der Kindererziehung. Doch irgendwann kommt der Moment, in dem alle merken: Die eigenen Eltern werden älter.
Auch die 20-Minuten-Community macht schmerzhafte Erfahrungen mit ihren älter werdenden Eltern (siehe Bildstrecke).
«Mama und Papa brauche ich immer noch»
«Das erste Mal so richtig bewusst wurde mir das Alter meiner Eltern während der Corona-Zeit», erzählt Tarja (45). Als Kind – ob nun erwachsen oder nicht – habe sie ihre Eltern etwa bei Einkäufen unterstützt. Dann seien vermehrte Krankenhausaufenthalte hinzugekommen und die Frage, ob ein Wohnungswechsel sinnvoll sei. «Wir konnten beobachten, wie Treppenhäuser eine immer grössere Herausforderung für meine Eltern wurden und wie viele Pausen sie auf der Treppe einlegen mussten», so die 45-Jährige.
«Das Umdenken, dass die eigenen Eltern nicht mehr unser Fels in der Brandung sind, sondern umgekehrt, tut oft noch sehr weh», sagt sie. Tarja wolle sich gar nicht vorstellen müssen, wie es ohne ihre Eltern sein soll. «Ob ich nun erwachsen bin oder nicht – Mama und Papa brauche ich immer noch und ich bin jeden Tag froh, sie noch zu haben.»
«Mir tut es sehr weh, sie so zu sehen»
Starke Verlustängste hat auch Leserin J.S.: «Vor drei Jahren fing meine Mutter aufgrund von Nierenversagen mit der Dialyse an, seitdem geht es nur noch bergab», erzählt die 34-Jährige. Vor einem Jahr kam die Diagnose Alzheimer hinzu. «Ich wollte meine Niere spenden, aber jetzt, wo sie an Alzheimer erkrankt ist, bin ich laut Spital für die Spende plötzlich doch zu jung.» S. kommt nicht damit klar, dass es ihrer Mutter so schlecht geht. «Mir tut es sehr weh, sie so zu sehen – ich kann mir nicht vorstellen, ohne sie zu leben», erzählt sie.
Als Einzelkind hatte S. eine sehr enge Bindung zu ihren Eltern. «Wenn sie irgendwann nicht mehr da sind, werde ich niemanden mehr haben, der mir so nahe steht – das macht das Ganze noch schwieriger.» Die Krankheit ihrer Mutter belastet S. sehr. «Nichts ist mehr so wie früher. Sie ist ein anderer Mensch geworden.»
Leidest du unter dem Älterwerden deiner Eltern?
«Ich lernte, Hilfe zu akzeptieren»
Lino (46) lebt mit seinen Eltern in einem Generationenhaus – er in der oberen Wohnung, seine Eltern im Parterre. Bereits früh sei er mit der Erkrankung beider seiner Eltern konfrontiert worden. «Es gab eine Zeit, da war die Verzweiflung so gross – ich sah sie altern, wie ihre Haut ledrig und ihre Hände mit jedem Tag, der verging, zittriger wurden. Ich sah, dass sie Hilfe brauchen», erzählt Lino. Doch das Gewicht auf seinen Schultern wurde zu gross: «Es war grausam, ich konnte es nicht mehr ertragen oder mitansehen. Also bin ich ein Jahr lang abgehauen», so der 46-Jährige.
In dieser Zeit habe er angefangen, zu akzeptieren, dass es der natürliche Wandel im Leben sei und er daran nichts ändern könne. «Ich lernte aber, dass ich Hilfe akzeptieren darf und darüber reden kann – das half mir zu sehen, dass nicht alles auf mir alleine lastet.» Er ist daraufhin zurückgekehrt und unterstützt nun seine Eltern und packt dort an, wo er kann. «Und wenn ich es nicht alleine kann, ist die Hilfe immer da – man muss nur danach fragen und sie annehmen.»
Das rät die Expertin

Pasqualina Perrig-Chiello ist Entwicklungspsychologin und forscht unter anderem zu familialen Generationenbeziehungen.
Frau Perrig-Chiello, wie geht man damit um, dass die Eltern älter werden?
Es fällt leichter, wenn man akzeptiert, dass das Leben auch einen ständigen Wandel bedeutet. Zudem ist es hilfreich, daran zu denken, dass es allen anderen gleich geht: Es ist ganz normal, dass es schmerzt, wenn man das alte Bild seiner Eltern loslassen muss.
Was sollte man sich in Sachen Pflege der Eltern überlegen?
Man muss zuerst mit sich selbst im Reinen sein und sich fragen: Wie kann ich unterstützen, was bin ich gewillt zu tun, was nicht und wie kann ich mir das einrichten. Dann ist es wichtig, das Gespräch mit den Eltern zu suchen – und sich nicht einschüchtern zu lassen, wenn sie das Thema nicht angehen wollen.
Wie redet man mit seinen Eltern über die Zukunft?
Am besten spricht man seine Sorgen und Bedenken in der «Ich-Form» an. Also etwa: «Mich beschäftigt das» oder «Ich möchte helfen, aber will es mit euch besprechen». Wichtig ist auch abzuklären, was überhaupt erwartet wird. Dann kann man aushandeln.
Auf welche Zeichen sollte man achten, die zeigen, dass die Eltern Hilfe brauchen?
Sie vergessen oder verlegen Sachen, zahlen die Rechnungen nicht mehr oder man bemerkt blaue Flecken, die darauf hinweisen könnten, dass sie hingefallen sind. Häufig verdrängt man solche Signale, weil man sie nicht wahrhaben will. Aber genau dann sollte man ganz genau hinsehen.
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