Russen in Syrien Treibt Putin Flüchtlinge gezielt nach Europa?
Russland verstärkt in Syrien seine militärische Präsenz. Mit welchem Ziel, fragte 20 Minuten den Russland-Experten Stefan Meister.
- von
- gux

Wladimir Putin und seine Pläne im Mittleren Osten: mehr Sichtbarkeit.
Die USA sind beunruhigt. Regierungsbeamte berichten von besorgniserregenden Vorbereitungen für einen russischen Militäreinsatz in Syrien. Nicht nur bauten Russen in der Hafenstadt Latakia – Alawiten-Hochburg und damit möglicher Rückzugsort für Machthaber Baschar al-Assad – eine mobile Kaserne für 1000 Soldaten. Satellitenbilder würden auch belegen, dass russische Techniker am Flughafen der Stadt ein mobiles Kontrollzentrum einrichteten.
In der syrischen Hauptstadt soll es mittlerweile von russischen Offizieren nur so wimmeln, heisst es. Und Mitglieder der zur al-Qaida gehörenden Al-Nusra-Front veröffentlichten Fotos von Suchoi-Kampfjets über der Provinzhauptstadt Idlib. Auch auf See scheinen die Dinge im Fluss: Ende August nahm die «Nikolay Filchenow» Kurs Richtung Syrien. Als Landungsschiff kann sie Truppen und Material unabhängig von Hafeninfrastruktur anliefern.
Scharfe Warnung
All diese Aktivitäten veranlassten Washington zu einer scharfen Warnung vor einer weiteren Eskalation des Konflikts, vor noch mehr Toten und noch mehr Flüchtlingen. Moskau könnte mit einem militärischen Aufmarsch in Syrien ausserdem der westlich-arabischen Anti-IS-Koalition ins Gehege kommen.
Den Versicherungen Wladimir Putins, Russland setze sich für eine «internationale Koalition im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus» ein, will niemand so recht glauben. Zwar hat Russland nie einen Hehl daraus gemacht, der syrischen Regierung im Kampf gegen den Terrorismus Waffen zu liefern. Doch die russischen Aktivitäten legen nahe, dass der Kreml in Syrien nicht nur mit offenen Karten spielt.
Um Eingreifpläne geht es nicht
«Es gibt wenig Bilder und Beweise, was da derzeit konkret abläuft», sagt auch Russland-Experte Stefan Meister zu 20 Minuten. «Selbst in den russischen Medien findet praktisch keine Analyse oder eine Diskussion über die verstärkten russischen Aktivitäten in Syrien statt.»
Der Russland-Kenner hat zwar sehr wohl den Eindruck, dass Putin entschieden hat, Assad mit modernen Waffensystemen und Trainingspersonal noch stärker zu unterstützen. Mit konkreten Eingreifplänen Russlands in Syrien aber habe das nichts zu tun: «Russland will mehr Sichtbarkeit im Mittleren Osten. Es will Waffen verkaufen und sieht Chancen, die Schwäche der USA in der Region für sich zu nutzen und Verbündete zu finden. Es will ein globaler Player, keine Regionalmacht sein», so Meister. Ob es Russland gelingt, durch mehr Präsenz im Mittleren Osten seinen Status als Grossmacht auszubauen, daran zweifelt er allerdings: «Ich bin skeptisch, auch aufgrund der begrenzten Ressourcen, aber als Störfaktor ist es möglich.»
Spekulationen über «zynisches Kalkül Putins»
Die russische Betriebsamkeit führt zu teils abenteuerlichen Spekulationen. Etwa, dass Russland auf dem syrischen Schlachtfeld mitmischen wolle, um den Flüchtlingsstrom nach Europa weiter ansteigen zu lassen. So schreibt etwa die «Frankfurter Rundschau»: «Die Europäische Union könnte, so offenbar das zynische Kalkül Putins, als Vergeltung für ihre Ukraine-Sanktionen in eine Art humanitäre und politische Dauerkrise gestürzt werden.»
Ein starkes Stück – doch was hält Russland-Experte Meister davon? «Das klingt mir etwas sehr nach Verschwörungstheorie», sagt er. «Es wäre ausserdem gar nicht nötig: Die Asyl-Ankündigung der Bundesregierung für Syrer führt ja bereits dazu, dass die Flüchtlingsströme ansteigen werden, auch ohne das Zutun Russlands in Syrien oder sonst wo.»
«Diese Frage ist noch offen»
Der Flüchtlingsstrom in Europa sei in Russland zwar ein grosses Thema: «Denn so kann Russland eine weitere Schwäche der EU offenbaren und zeigen, dass die EU massiv unter Druck geraten wird und immer weniger Modell für andere sein kann.» Er glaube aber nicht, dass «der Kreml deswegen in Syrien mit Waffen spielen wird. «Es geht um die Stärkung der eigenen Position in der Region und Prestigegewinn.»
Allerdings macht sich Russland mit der verstärkten Unterstützung Assads ja auch angreifbarer: Immerhin stellen die IS-Kämpfer aus dem Nordkaukasus nebst den Tunesiern und den Saudi-Arabern das drittstärkste Kontingent unter den ausländischen IS-Kämpfern. Ein Teil von ihnen wird eines Tages in ihre Heimat zurückkehren. «Das ist richtig. Doch dieses Problem hat kein Land im Griff», sagt Meister. «Die IS-Rückkehrer sind vielmehr ein weiterer Grund, der dagegen spricht, dass Russland im Syrien-Konflikt noch weiter militärisch eingreifen wird.»
Mittelfristig würde Moskau eher davon profitieren, eine Anti-IS-Koalition mit den Amerikanern einzugehen. So würde es aufgewertet und könnte aus der internationalen Isolation herauskommen. «Die Frage ist, ob der Kreml das so machen oder weiterhin einfach plump Assad unterstützen wird. Diese Frage ist noch offen.»

Stefan Meister ist Programmleiter für Russland, Osteuropa und Zentralasien am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Seine Fachgebiete umfassen unter anderem die russische Aussen- und Sicherheitspolitik oder EU-Russland-Beziehungen.
(Bildquelle: DGAP)