«Ich dachte: Versuchen wirs!» – russischer Kampfheli-Pilot spricht über Flucht

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ÜbergelaufenMaxim (28) floh mit russischem Kampfhelikopter in die Ukraine

Manche laufen, andere fliegen über: Ein russischer Pilot flüchtet mit einem Kampfhelikopter und der unwissenden Crew in die Ukraine. Jetzt redet Maxim Kuzminow (28) erstmals über die waghalsige Operation.

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Darum gehts

  • Maxim Kuzminow nutzte Ende August die Gelegenheit, auf die er sich mit dem ukrainischen Geheimdienst vorbereitet hatte. 

  • Der russische Kampfhelikopter-Pilot flog mit einem Mi-8 in die Ukraine und gab die Maschine gegen viel Geld ab. 

  • Jetzt spricht der 28-Jährige erstmals über die riskante Operation, die das Leben seiner Crewmitglieder kostete. 

  • Die russische Version, wonach der Kampfhelikopter wegen eines «Navigationsfehlers» in der Ukraine gelandet sei, ist nun endgültig widerlegt.

Was ist passiert?

Am 23. August flog ein russischer Kampfhelikopter Mi-8 von Russland in die Ukraine und landete auf einem Luftwaffenstützpunkt im Oblast Poltawa. In Russland war von einem Versehen die Rede, vieles blieb unklar.

Jetzt hat der Pilot über die waghalsige Operation in einem vom ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienst veröffentlichten Interview gesprochen. Die Umstände des Gesprächs sind unklar, aber der Pilot schien frei zu sprechen.

Wer ist er?

Maxim Kuzminow (28), Kampfpilot des 319. separaten Helikopterregiments des Militärbezirks Ost. Seine Familie wurde nach ukrainischen Angaben vor seiner Flucht ausser Landes geschafft. 

Wie wurde die Flucht geplant? 

Er habe sich mit Vertretern des ukrainischen Geheimdienstes in Verbindung gesetzt. «Ich habe ihnen meine Situation erklärt und sie haben mir folgende Option angeboten: 'Kommen Sie, wir garantieren Ihre Sicherheit, wir garantieren neue Dokumente, wir garantieren eine finanzielle Entschädigung, eine Belohnung», so Kuzminow.

«Wir waren in der Lage, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass seine gesamte Familie unentdeckt entkommen konnte und schliesslich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er den Helikopter mit einer Besatzung übernehmen konnte», sagte Kyrolo Budanow, Leiter des ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienstes, in einem anderen Interview gegenüber «Radio Liberty». 

«Das hat noch niemand gemacht, aber ich hoffe, dass wir das jetzt ausweiten können», so der ukrainische Geheimdienstler. 

Wieso tat er das?

Kuzminow erhält für den russischen Mi-8-Helikopter von der Ukraine eine Prämie von umgerechnet rund 445'000 Franken. Doch offenbar ging es dem Piloten nicht nur um das Geld. «Die Motivation für mein Handeln war, nicht zu diesen Verbrechen beizutragen», so Kuzminow.

«Die Ukraine wird diesen Krieg eindeutig gewinnen, einfach weil das Volk sehr geeint ist. Früher war es nicht so, aber jetzt ist es sehr geeint. Die ganze Welt hilft ihnen, denn in erster Linie sollte das menschliche Leben wertgeschätzt werden.» Was vor sich gehe, sei «schlichtweg ein Völkermord», sowohl am ukrainischen als auch am russischen Volk.

Der 28-Jährige kritisiert den russischen Angriff ebenso wie die russischen Fehlinformationen darüber. «Die Wahrheit ist, dass es hier keine Nazis oder Faschisten gibt», sagt Kuzminow. «Es ist eine echte Schande, was hier passiert. Morde, Tränen, Blut. Die Menschen bringen sich einfach gegenseitig um. Das ist alles, was ich davon halten kann, und ich möchte nicht daran teilhaben.» 

Wie ist es abgelaufen? 

Pilot Kuzminow wartete die richtige Gelegenheit ab. Dies ergab sich, als der Kampfhelikopter mit der kompletten dreiköpfigen Besatzung in der Nähe der ukrainischen Grenze unterwegs war.

«Ich übermittelte meinen Standort und sagte mir selbst: Versuchs einfach, ich bin nicht so weit weg». Dann sei er in extrem niedriger Höhe und im Funkstille-Modus in die Ukraine geflogen. «Keiner hat verstanden, was mit mir los war.»

Tatsächlich waren russischen Militärblogger schnell die Flugdaten aufgefallen. Sie sprachen von einem Versehen, der Heli-Mannschaft seien «Navigationsfehler» unterlaufen. 

Die beiden anderen Crewmitglieder waren nicht eingeweiht. Als sie merkten, wo sie gelandet waren, versuchten sie zu fliehen. «Leider wurden sie eliminiert. Wir hätten es vorgezogen, sie lebend zu fassen, aber es ist, wie es ist», so der Leiter des ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienstes, Kyrolo Budanow.

Was passiert jetzt? 

Der übergelaufene Kuzminow macht natürlich nicht öffentlich, was er künftig tun wird. Doch er lässt durchblicken, dass er auch andere russische Militärangehörige auffordert, in die Ukraine überzulaufen. «Ihr werdet versorgt sein, für den Rest eures Lebens. Man wird Ihnen überall einen Job anbieten, egal, was Sie tun. Ihr werdet einfach eine Welt voller Farben entdecken.»

Der russische Kampfhelikopter soll völlig intakt sein und nach einer eingehenden Prüfung den ukrainischen Streitkräften zugeführt werden. 

Die Ukraine hat eine offizielle Liste an Prämien für Militärtechnik, die russische Soldaten übergeben können. Für einen Panzer etwa gibt es 100'000 US-Dollar. In Russland hingegen werden Abschussprämien für Flugzeuge, Panzer und andere Waffen gezahlt. 

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