«Millionen Traumatisierte»Ukrainisches Hilfswerk sucht in der Schweiz Ärzte, Psychologen und Geld
Der Krieg in der Ukraine dauert an. Es drohen neben Zehntausenden Verstümmelten auch Millionen Fälle von posttraumatischer Belastungsstörung. Eine Organisation will helfen und sucht Schweizer Psychiaterinnen und Psychologen.

- von
- Stefan Lanz
Darum gehts
In der Ukraine drohen Zehntausende Kriegsbetroffene eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln.
Der Multimillionär Andrey Stavnitser will diesen Menschen mit seiner Organisation helfen.
Er sucht Psychiaterinnen und Psychologen, die wiederum ukrainische Therapeuten ausbilden.
Auch plastische Chirurgen, die Verwundete versorgen können, würden dringend gebraucht.
Andrey Stavnitser, Olga Rudneva, Sie leiten das Projekt «Superhumans» in der Ukraine. Was ist das für ein Projekt?
Andrey Stavnitser: Wir sind eine gemeinnützige Organisation und kümmern uns um kriegsversehrte – Zivilisten wie Soldaten. In unserer neuen Klinik in Lwiw fertigen wir Prothesen für abgetrennte Gliedmassen, bieten plastische Chirurgie für schlimmste Kriegswunden, aber auch psychologische Hilfe bei posttraumatischer Belastungsstörung.
Lassen Sie uns über die psychischen Kriegswunden sprechen. Wie gross ist dieses Problem?
Olga Rudneva: Riesig! Wir müssen hier wirklich Alarm schlagen. In der ukrainischen Armee dienen derzeit über acht Millionen Männer und Frauen. Wissenschaftler befürchten, dass rund ein Viertel davon mit einer posttraumatischen Belastungsstörung kämpfen werden. Bei einer Einsatzdauer von mehr als 240 Tagen sogar nahezu 100 Prozent. Dazu kommen die Millionen Frauen, Männer und Kinder, die in Bunkern ausharren oder von russischen Luftangriffen terrorisiert werden.
Andrey Stavnitser und Olga Rudneva
Was passiert mit diesen Menschen, wenn die psychischen Wunden nicht behandelt werden?
Andrey Stavnitser: Was dann passiert, hat man bei russischen Soldaten gesehen, die in den 1980ern in Afghanistan gekämpft haben. Als sie zurückkamen und dann auch noch die Sowjetunion auseinandergefallen ist, schlossen sich viele den entstehenden kriminellen Banden an. Sie wurden Auftragsmörder für die russische Mafia. Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass traumatisierten Ukrainerinnen und Ukrainer ein solches Schicksal widerfährt.
Was tun Sie, um das zu verhindern?
Olga Rudneva: Wir beobachten und begleiten all unsere Patienten sehr eng. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann jederzeit ausbrechen, auch Jahre nach dem Krieg. Der Bedarf an psychologischer Hilfe ist riesig. Unser Ziel ist nun, weltweit Psychiaterinnen und Psychologen zu finden, die wiederum ukrainische Fachleute in diesem Thema weiterbilden können.
Und dafür sind sie jetzt in die Schweiz gekommen?
Andrey Stavnitser: Unter anderem, ja. Wir hoffen hier aber nicht nur psychologische Fachleute zu finden, sondern auch plastische Chirurgen sowie Fachpersonen für Prothesen. Von diesen Fachleuten haben wir viel zu wenig in der Ukraine. Vor dem Krieg brauchten wir sie auch schlicht nicht. Das Ziel von «Superhumans» ist nicht nur, den Kriegsversehrten direkt zu helfen, sondern auch ukrainische Ärztinnen und Techniker auszubilden, die dann wiederum ihre Landsleute versorgen.
Wie gross ist der Bedarf an Hilfe?
Olga Rudneva: Enorm. Es gibt rund 20’000 Menschen, die Gliedmassen verloren haben und rund 50’000, die eine Versorgung ihrer Wunden und Narben durch plastische Chirurgen benötigen – Zivilisten immer mit eingerechnet. Die Behandlung ist leider enorm teuer. Mit einer Million Dollar können wir gerade einmal 50 Patienten versorgen. Neben dem Fachwissen brauchen wir darum natürlich auch Spendengelder und wir hoffen, einen Teil davon auch in der Schweiz zu finden.
Herr Stavnitser, Sie wurden zu Beginn des Krieges bekannt, als Sie die ukrainische Artillerie anwiesen, ihr eigenes Haus zu beschiessen, als es von russischen Soldaten besetzt wurde.
Andrey Stavnitser: Ja. Als ich die russischen Soldaten auf der Überwachungskamera entdeckte, rief ich sofort bei der Armee an und gab ihnen die Koordinaten. Ich bereue es bis heute nicht und würde es jederzeit wieder tun.
Sie haben damit in Kauf genommen, dass russische Soldaten sterben und verstümmelt werden. Wie passt diese Härte zusammen mit ihrem humanitären Engagement?
Andrey Stavnitser: Militärische Gewalt ist die einzige Möglichkeit, uns gegen die russische Invasion zu wehren. Leider kostet das auch ukrainische Leben und weitere Opfer. Das ist derzeit aber der einzige Weg, die Russen aus der Ukraine zu vertreiben und darum unumgänglich.
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