«Staatspolitisches Problem»Uni Bern schreibt Beschwerden für Flüchtlinge – das sorgt für Ärger
Jus-Studierende der Universität Bern verfassen mitunter Beschwerden für Geflüchtete in anderen Kantonen. Ist die politische Neutralität gefährdet? Die Kantonsregierung will den Verantwortlichen ins Gewissen reden.
- von
- Simon Ulrich
Darum gehts
Studierende der Human Rights Law Clinic (HRLC) der Uni Bern haben eine Beschwerde für eine Flüchtlingsfamilie im Kanton Aargau verfasst.
Das sei staats- und neutralitätspolitisch problematisch, finden drei Berner FDP-Grossrätinnen und -Grossräte.
Der Berner Regierungsrat will die Uni nun dazu sensibilisieren, das Angebot der HRLC auf weniger politisch konnotierte Themen auszurichten.
«Ist es Aufgabe der Universität Bern, Beschwerden gegen Entscheide von Behörden anderer Kantone einzureichen?»: So lautet die Hauptfrage, welche die drei Berner FDP-Grossrätinnen und -Grossräte Christoph Zimmerli, Sibylle Plüss-Zürcher und Hans-Peter Kohler dem Regierungsrat stellen. Anlass für ihre Bedenken ist der Fall einer Flüchtlingsfamilie im Kanton Aargau, die mit den finanziellen Unterstützungsleistungen des Amts für Migration nicht zufrieden war. Bei der Kantonsregierung hat sie deshalb Beschwerde eingereicht.
«Falscher Bereich für solche Übungen»
Verfasst wurde die Beschwerde von Studierenden der Universität Bern im Rahmen der Human Rights Law Clinic (HRLC) – ein Lehrformat, das angehenden Juristinnen und Juristen bereits während des Studiums die Möglichkeit bieten soll, sich mit realen Fällen rund um menschenrechtliche Fragen auseinanderzusetzen. In der Beschwerde, die ein Anwalt und Professor für Migrationsrecht an der Uni Bern unterzeichnet hat, wird offenbar der Vorwurf erhoben, die Sozialhilfeansätze im Kanton Aargau würden unter anderem gegen das Diskriminierungsverbot und die Menschenwürde verstossen.
Für Christoph Zimmerli ist klar: Hier greift eine kantonalbernische Institution in die Hoheit eines anderen Kantons ein. «Das ist ein staatspolitisches Problem», hält er gegenüber 20 Minuten fest. Der Aargauer Regierungsrat sei über die Einmischung «wenig amused» gewesen: Sozialdirektor Jean-Pierre Gallati höchstpersönlich habe ihm sein Unverständnis über das Vorgehen der Universität Bern mitgeteilt, sagt der FDP-Politiker. Gegenüber 20 Minuten wollte sich der Kanton Aargau nicht zum Fall äussern.
Mit ihrem Beschwerdeverfahren im «höchst heiklen und aufgeladenen Feld der Flüchtlingspolitik», so Zimmerli weiter, gefährde die Uni darüber hinaus ihre politische Neutralität – zumal die HRLC gemäss ihrer Webseite mit einem «Sammelsurium linker Institutionen aus dem Asylbereich» zusammenarbeite. «Es ist der denkbar falsche Bereich, um mit Studierenden solche Übungen durchzuführen.»
Regierungsrat sieht Gefahr der Rufschädigung
Der Regierungsrat präzisiert in seiner Antwort auf den Vorstoss zunächst, dass besagter Professor die Beschwerde «als im Anwaltsregister des Kantons Bern eingetragener Rechtsanwalt» eingereicht habe – formell gesehen also nicht die Uni Bern.
Ganz wohl bei der Sache ist es der Kantonsregierung trotzdem nicht: Man sei sich bewusst, «dass die Beschwerde nach aussen dennoch der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern zugeordnet werden könnte und dass dadurch gewisse Reputationsrisiken bestehen, insbesondere wenn die Arbeit der HRLC als politisch einseitig wahrgenommen werden kann».
Umso wichtiger sei es, «konsequent auf die Vermeidung übermässiger Nähe oder gar einer Vereinnahmung durch Organisationen zu achten, die sich teilweise eindeutig politisch zu Fragen des Asyl- und Migrationsrechts positionieren», mahnt der Regierungsrat. Er erachte es daher als wünschenswert, wenn die HRLC ihr Angebot «auf weniger politisch konnotierte Themenbereiche wie beispielsweise das Steuer- oder Familienrecht» ausrichten würde, und sei bereit, die Uni «in diesem Sinne zu sensibilisieren».
«Lassen uns nicht dreinreden»
Die Bedenken über eine politische Vereinnahmung weisen die Verantwortlichen der HRLC klar zurück. Zum einen könnten zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Schweizerische Rote Kreuz, die Schweizerische Flüchtlingshilfe oder die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter, mit denen man zusammenarbeite, kaum als ideologisch eingefärbt bezeichnet werden, sagt Alberto Achermann, der die HRLC mit zwei weiteren Rechtsprofessoren leitet. Zum anderen bearbeite die Law Clinic die Rechtsfälle selbstständig, nachdem diese ihr zugetragen worden seien. «Wir lassen uns von den Organisationen nicht dreinreden», stellt der Experte für Migrationsrecht klar. Die Fälle würden ausschliesslich danach ausgewählt, ob sie interessante Rechtsfragen für die Studierenden beinhalten.
Weil Law Clinics gemeinhin in den Bereichen öffentliches Recht und Strafrecht agieren, würden sie sich stets mit staatlichen Massnahmen beschäftigen – und müssten «gegebenenfalls gegen staatliche Institutionen mit Rechtsmitteln vorgehen», argumentiert die HRLC-Leitung in ihrer Stellungnahme zur Interpellation. Dass sich die Uni damit auf staatspolitisch heikles Terrain begebe, wie von den Interpellanten behauptet, stellt Achermann in Abrede. Vielmehr trage die HRLC zur Durchsetzung der Menschenrechte bei und verfolge so eine verfassungsrechtliche Zielvorgabe. Der Rechtsprofessor weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Bund und Kantone selbst Rechtsberatungsstellen im Asylbereich mitfinanzieren – faktisch also die amtliche Vertretung von Asylsuchenden, damit diese gegen den Staat vorgehen können. «Was wir in der Law Clinic machen, kann so verkehrt also nicht sein.»
Eine Ergänzung des Angebots um weitere Rechtsbereiche, wie dies der Regierungsrat begrüssen würde, sei grundsätzlich zwar auch aus Sicht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät wünschenswert, sagt Achermann. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass die Einsatzmöglichkeiten von Law Clinics beschränkt seien und nur «Fälle gegen den Staat» – nicht aber gegen andere Privatpersonen – infrage kämen. Achermann illustriert dies an einem Beispiel aus dem Familienrecht: «Man stelle sich vor, die Uni würde in einem Scheidungsprozess eine Partei unterstützen – das wäre ja völlig daneben.»
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