Interview«USA ziehen sich zurück und überlassen den Ukraine-Krieg Europa»
Offiziell wollen die USA die Ukraine gegen den russischen Angriff unlimitiert unterstützen – «as long as it takes», sagt Joe Biden gerne. Nur: Wie lange stimmt das?
Darum gehts
Seit vor über einem Jahr Russland die Ukraine angegriffen hat, hat die Nato dem Land Unterstützung in seiner Verteidigung gegen den Nachbarn zugesagt.
Allen voran die USA, die soeben ein neues Militär-Hilfspaket für die Ukraine im Umfang von 400 Millionen Dollar angekündigt haben.
Man werde Kiew während und nach dem Kampf «auf lange Sicht» unterstützen, heisst es von der Biden-Regierung.
USA-Kenner Josef Braml sieht das anders. Ihm zufolge ist schon jetzt klar, dass sich Washington in absehbarer Zeit aus der Ukraine-Unterstützung zurückziehen wird.
Dabei spiele es auch keine Rolle, ob der nächste US-Präsident Joe Biden oder Donald Trump heisse.
Das werde natürlich Folgen für Europa haben.
Soeben haben die USA weitere Militärhilfe für die Ukraine angekündigt, bei der es vor allem um Munition geht – ein Beweis für den parteiübergreifender Konsens, dass die Vereinigten Staaten der Ukraine gegen den Angriffskrieg Russlands weiterhin beistehen. «As long as it takes», unterstreicht die Regierung von US-Präsident Joe Biden gerne.
Doch USA-Experte Josef Braml traut weder dieser Zusage noch der scheinbaren Einigkeit im US-Kongress. Der Ukrainekrieg, der anfangs Amerika vereinte, werde noch vor den Wahlen im kommenden Jahr auf die parteipolitischen Linien heruntergebrochen, sagt er. Und so oder so steht für ihn fest: Die USA werden den Ukraine-Krieg und seine Folgen Europa überlassen.
Herr Braml, was passiert mittel- und langfristig mit der US-Unterstützung für die Ukraine?
Die Ukraine weiss, dass sie irgendwann einmal zu Potte kommen (abschliessen) muss. Was man jetzt nicht durch die aktuelle Gegenoffensive erreicht, wird man schwer verhandeln können. Auch wenn die USA offiziell sagen, dass die Ukrainer den Krieg bestimmen: Kiew weiss, dass die Unterstützung der USA nicht ewig dauert.
«Da muss auch gar kein Donald Trump kommen.»
Heisst: Die USA werden sich aus der Unterstützung für die Ukraine zurückziehen und den Krieg und seine Folgen Europa und Grossbritannien überlassen?
Ja. Und da muss auch gar kein Donald Trump kommen. Joe Biden hat ebenfalls signalisiert, dass die Unterstützung der USA nicht ewig dauern kann. Ausserdem sind die USA historisch nicht für ihr langes Durchhaltevermögen in Kriegen bekannt. Und: Gerade wurde das amerikanische Credit Rating von Fitch herabgestuft. Angesichts der desolaten Haushaltslage der USA ist die Ukraine-Hilfe nicht nachhaltig.
«Angesichts der desolaten US-Haushaltslage ist die Ukraine-Hilfe nicht nachhaltig.»
Wann und wie hat Biden ein Ende der Ukraine-Unterstützung signalisiert?
Das war nicht offen. Aber sein überraschender Kiew-Besuch Ende Februar fand nicht einfach so statt. Die Frühjahrsoffensive verläuft nicht so glorreich wie von vielen erwartet. Und was die USA im ukrainischen Verteidigungskrieg gegen Russland bislang einsetzten, wird knapp. Dabei gilt Russland nicht einmal als die grösste Bedrohung, die USA müssen noch woanders den Deckel draufhalten.
«Gerade wenn Trump Commander in Chief werden sollte, stehen wir blank da.»
Sie sprechen China an.
Die USA wollen verhindern, dass China und Russland noch stärker zusammenrücken. Deswegen werden sich die USA nicht verausgaben und sich auf China konzentrieren und Russland wird unser Problem bleiben. Gerade wenn Trump 2025 Commander in Chief werden sollte, stehen wir blank da. Deswegen muss Europa jetzt schnell und auf mehreren Ebenen wehrhafter werden.
«Auf mehreren Ebenen wehrhafter werden» – was heisst das konkret?
In meinem aktuellen Buch «Die transatlantische Illusion», das bereits vor Putins Krieg gegen die Ukraine erschienen ist, habe ich etwa empfohlen, dass Europa auch militärisch eigenständiger werden sollte. Da wir uns auf den Schutz Amerikas künftig nicht mehr verlassen können, brauchen wir vor allem auch bei der nuklearen Abschreckung einen europäischen Pfeiler, wohlgemerkt innerhalb der NATO.
«Wir brauchen bei der nuklearen Abschreckung einen europäischen Pfeiler, wohlgemerkt innerhalb der NATO.»
Wie soll das umgesetzt werden?
Frankreich wäre bereit, seinen atomaren Schutz in eine europäische Gesamtstrategie einzubringen, etwa in Form eines französisch-deutschen Nukleararrangements. So wäre es etwa für Deutschland völkerrechtlich durchaus möglich, Frankreichs Atomwaffen mitzufinanzieren, um am französischen Schutzschild teilzuhaben.
* Dr. Josef Braml ist Autor und deutscher Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt transatlantische Beziehungen.
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