KriminalitätVenezuela - tödlicher als der Irak
Manche Venezolaner witzeln gern, sie würden in Bagdad sicherer leben. Ein Blick auf die Statistik macht klar: Der Scherz ist bittere Wahrheit.
- von
- dhr

Polizisten in Caracas: Unterbezahltes, korruptes Polizeikorps
Jede Stunde werden in Venezuela zwei Menschen umgebracht. Doch es sind nicht Berichte von Mord und Totschlag aus Venezuela, die weltweit Schlagzeilen machen, sondern die Bombenanschläge im Irak. Gerade jetzt terrorisiert, nach dem Abzug der letzten amerikanischen Kampftruppen, eine Welle der Gewalt den krisengeschüttelten Staat.
Und doch ist das Leben in dem südamerikanischen Land gefährlicher als zwischen Euphrat und Tigris. 2009 waren im Irak gemäss den Zahlen von Iraq Body Count 4664 zivile Opfer von Gewalt zu beklagen; im selben Jahr waren es in Venezuela, das sogar etwas weniger Einwohner hat, mehr als 16 000. Sogar der Drogenkrieg in Mexiko fordere weniger Opfer, berichtet die «New York Times».
Beängstigende Zunahme der Kriminalität
Die Venezolaner wissen seit Jahren, wie gefährlich ihr Land ist. Wer es sich leisten kann, errichtet Mauern um sein Anwesen und heuert Security-Personal an. Seit 1999, als Präsident Hugo Chávez an die Macht gelangte, hat sich die Zahl der Tötungsdelikte vervierfacht; mittlerweile sind es pro Jahr 54 auf 100 000 Einwohner, in der Hauptstadt Caracas selbst ungefähr 200 auf 100 000. In Bogotà, der Hauptstadt des Nachbarstaats Kolumbien, sind es nach rezenten Statistiken nur gerade 22,7 pro 100 000 Einwohner; in der grössten brasilianischen Stadt Saõ Paulo gar nur 14.
Die Opposition macht Chávez für die beängstigende Zunahme der schweren Kriminalität verantwortlich. Unlängst publizierte die Zeitung «El Nacional» auf ihrer Frontseite ein grauenhaftes Foto, auf dem ein Dutzend Leichen in der grössten Leichenhalle von Caracas zu sehen sind (20 Minuten Online berichtete). Es sei seine Absicht gewesen, damit einen Schock auszulösen, erklärte Verleger Miguel Otero, «die Leute sollen auf die Tatsache reagieren, dass die Regierung nichts gegen die Gewalt in unserem Land tut.»
Politisierte Justiz
Die steigende Kriminalität war zwar bereits vor dem Amtsantritt von Chávez ein Problem, räumen auch Kritiker des Präsidenten ein. Doch sie weisen auf die zunehmend politisierte Rechtsprechung hin und beklagen sich, dass der Opposition angehörende Gouverneure von der Regierung benachteiligt würden, auch bei der Zuteilung von Mitteln für die Verbrechensbekämpfung.
Schlimmer für Chávez dürften allerdings andere Gründe sein, die — neben den Millionen von illegalen Feuerwaffen im Land und den niedrigen Polizeilöhnen — für den Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht werden: die im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Staaten schrumpfende Wirtschaft Venezuelas und — besonders ärgerlich für den linken Chávez — die nach wie vor enorme Kluft zwischen Arm und Reich.