WohnungsnotVerdienst du wenig, dann bist du Rausschmisskandidat
Wenigverdiener, Ausländer und Alleinerziehende: Für sie ist das Verdrängungsrisiko bei Neubauten besonders gross. Das zeigt ein neuer Bericht einer ETH-Forschungsgruppe.
- von
- Daniel Krähenbühl
Darum gehts
In Zürich gibt es kaum noch freie Wohnungen.
An zahlreichen Orten werden alte Wohnsiedlungen abgerissen und durch Neubauten ersetzt.
ETH-Assistenzprofessor David Kaufmann forscht mit seinem Team seit drei Jahren an der Thematik.
Nun haben sie in einem Bericht einige Erkenntnisse zum aktuellen Wohnungsnotstand vorgestellt.
Die interdisziplinäre Forschungsgruppe «Raumentwicklung und Stadtpolitik» (Spur) der ETH Zürich hat diese Woche neue Erkenntnisse zum aktuellen Wohnungsnotstand präsentiert. Erstmals konnten die Forschenden um Assistenzprofessor David Kaufmann dank Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) aufzeigen, bei welchen Bevölkerungsgruppen das Verdrängungsrisiko am grössten ist, wohin die Verdrängten ziehen und welche sonstigen Konsequenzen die Aufwertungsprozesse im Raum Zürich haben. Kaufmann stellt die wichtigsten Schlüsse des Berichts vor:
1. Neue Wohnungen werden hauptsächlich durch Ersatzneubauten geschaffen
Noch immer entstehen zahlreiche neue Wohnungen in ehemaligen Industriezonen. Diese Reserve wird aber knapp: In der Stadt Zürich hat der Anteil der Industriezonen seit 1996 um 54 Prozent abgenommen, im Kanton Zürich um 14 Prozent. «Das bedeutet, dass es vor allem in Zentrumsnähe gar keinen Platz mehr für Neubauten auf ehemaligen Industriearealen gibt», sagt Kaufmann.
Wolle man neuen Wohnraum schaffen, müsse das also dort geschehen, wo bereits Menschen lebten. «Und das passiert vor allem über Ersatzneubauten und nicht durch Umbauten – also durch Anbauen oder Aufstocken von bestehendem Wohnraum.» So seien im Kanton Zürich zwischen 2015 und 2020 rund 600 bis 700 Ersatzneubauten entstanden. Mehr Wohnraum durch Umbauten entstand in der gleichen Zeitspanne nur bei 80 bis 100 Häusern.

Um mehr Wohnraum zu schaffen, gab es zwischen 2015 und 2020 6,5 Mal mehr Ersatzneubauten als Umbauten.
2. Neue Wohnungen führen zur Verdrängung von vulnerablen Gruppen
«Wir konnten nachweisen, dass im Kanton Zürich allein zwischen 2014 und 2019 rund 13’000 Personen durch Ersatzneubauten oder Renovationen von Mehrfamilienhäusern verdrängt wurden», sagt Kaufmann. Dabei sei das Verdrängungsrisiko für Geringverdiener, für ausländische Bewohnerinnen und Bewohner und Alleinerziehende doppelt bis dreimal so hoch. «Die Schwächsten der Gesellschaft sind überdurchschnittlich oft betroffen, weil sie in ihrer Preiskategorie kaum Wohnraum finden.» So verdienten verdrängte Haushalte etwa monatlich 4800 Franken weniger als der durchschnittliche Haushalt im Kanton Zürich.
«Gleichzeitig haben die neuen Mietenden nach Renovationen ein monatlich 3623 Franken höheres Haushaltseinkommen», so Kaufmann. Bei 2132 Renovationen im Kanton Zürich zwischen 2010 und 2020 hätten nur gerade 6,1 Prozent der Mietenden im Gebäude bleiben können.
In der Stadt Zürich zieht es verdrängte Personen eher nach Zürich Nord: «Schwamendingen, Seebach, Oerlikon, aber auch Leimbach sind beliebt», so Kaufmann. Zahlreiche Personen, die in der Stadt nichts finden, ziehen allerdings weiter in die Agglomeration. «Etwa nach Regensdorf, Buchs, Bülach, Weiningen, Dietikon, Schlieren, oder Adliswil.»
3. Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse finden hauptsächlich rund um Bahnhöfe statt
In die neu gebauten Wohnungen rund um Bahnhöfe ziehen laut den ETH-Forschenden in erster Linie junge, gut- und mittelverdienende Personen. «Dadurch nimmt der Anteil ärmerer Haushalte in diesen Gebieten ab, die soziale Durchmischung im Quartier leidet stark», sagt Kaufmann. Etwa bei den Bahnhöfen Bülach und Stettbach sei dieser Effekt gut zu beobachten. «Dass neue Wohnungen in erster Linie reichere Personen anziehen und dadurch ärmere Leute verdrängt werden, sieht man bei den Bahnhöfen Hardbrücke und Oerlikon.» In gewissen Fällen fänden Gentrifizierungs- und Verdrängungsprozesse auch ohne grosse Neubautätigkeit statt. «Rund um die Bahnhöfe Stadelhofen und Enge hat in den letzten Jahren die Anzahl von ärmeren Personen abgenommen», sagt Kaufmann.
4. Ökologische und soziale Begleitmassnahmen erhöhen die Akzeptanz der Verdichtung
Um die Wohnungsproblematik zu lösen, führe nichts am verdichteten Bauen – beispielsweise höheren Blockrandbebauungen – vorbei, betont Kaufmann. «Der Begriff ist ein Reizthema, das ist uns Raumplanerinnen und Raumplanern bewusst. Unsere repräsentative Studie hat aber gezeigt, dass bauliche Verdichtung von der Bevölkerung viel eher akzeptiert wird, wenn ökologische soziale Begleitmassnahmen vorhanden sind.» Mietende müssten also etwa rechtlich besser geschützt werden, es bräuchte einen fixen Anteil an preisgünstigem Wohnraum und zusätzlichen, öffentlich-nutzbaren Grünraum. «Die Politik müsste diese Ergebnisse ernst nehmen und angesichts der akuten Wohnungsnot reagieren», fordert Kaufmann.
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