Interview – «Viele Portugiesen haben kaum Zugang zu News aus der Schweiz»

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Interview«Viele Portugiesen haben kaum Zugang zu News aus der Schweiz»

Menschen aus Portugal machen die grösste fremdsprachige Bevölkerungsgruppe in der Schweiz aus. Ein Gespräch über Hürden bei der Integration, die Sehnsucht nach dem Heimatland und Weihnachten.

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Darum gehts

Rund 295’000 Menschen in der Schweiz zählen Portugiesisch zu ihrer Hauptsprache. Viele von ihnen haben kaum Zugang zu tagesaktuellen Nachrichten aus der Schweiz, sagt Ana Paula Farinha, Präsidentin vom Verein «Entrelaçar», der portugiesischsprachige Menschen bei der Integration unterstützt.

Sie helfen portugiesischsprechenden Personen bei der Integration in der Schweiz. Wo zeigen sich die grössten Hindernisse?

Ana Paula Farinha*: Das ist sehr unterschiedlich. Schwierig ist es für Menschen, die mit einem eher tiefen Bildungsniveau in die Schweiz kommen und Mühe haben mit der Sprache. Sie brauchen Hilfe dabei, einen Lebenslauf zu erstellen, bei der Arbeits- oder Wohnungssuche, im Kontakt mit Behörden und Ämtern, bei Übersetzungen oder medizinischen Problemen. Und auch die Migranten, die schon lange hier leben, bleiben häufig unter sich. Sie finden zwar teils Hilfe in der Diaspora, lernen die Sprache oft aber nur sehr langsam.

Wie genau kann Ihr Verein da helfen? Wir sind eine Gruppe portugiesischsprachiger Freiwilliger mit unterschiedlicher Herkunft. In unseren Abendsprechstunden, die wir zweimal pro Woche veranstalten, schauen wir, ob wir direkt helfen können. Falls nicht, leiten wir die Menschen mit ihren Anliegen an – wenn möglich portugiesischsprachige – Fachpersonen weiter und begleiten sie. Dafür haben wir ein Netzwerk an Freiwilligen aus verschiedenen Fachgebieten.

Stellt die sprachliche Hürde auch ein Problem in der Informationsbeschaffung dar? Definitiv. Gerade weil die Portugiesinnen und Portugiesen oft unter ihresgleichen bleiben und schlecht Deutsch oder im Falle der Westschweiz Französisch sprechen, haben sie kaum Zugang zu News aus der Schweiz. Auch an Schweizer Politik sind sie kaum interessiert, sehr häufig stimmen sie nicht ab.

Was sind die grössten Herausforderungen bei der Integration in der Schweiz? Neben den oben erwähnten Hürden wie der Sprachbarriere gibt es auch ganz spezifische Probleme. So hatten wir lange Zeit Mühe mit portugiesischen Landsleuten, welche Neuankömmlingen unnötige Versicherungen verkauft haben. Wenn jemand neu in die Schweiz kommt, weiss er oder sie oft nicht, welche Versicherungen obligatorisch sind. Ihnen haben diese Personen dann diverse Zusatzversicherungen verkauft, die sie gar nicht gebraucht hätten. So strichen die Versicherungsvertreter Provisionen ein und die Neuankömmlinge wurden mehrere Jahre zur Kasse gebeten.

Auch Menschen, welche auf Sozialhilfe angewiesen sind, haben oft ein Problem. Das wurde durch die Covid-Krise verstärkt, da viele nach jahrelanger Arbeit ihren Job verloren haben. Viele Portugiesinnen und Portugiesen haben irgendwo im Heimatland ein kleines Stück Land oder ein Häuschen geerbt. Wenn sie in der Schweiz Sozialhilfe brauchen, bezahlt diese nicht oder nur für sechs Monate, da sie ja noch Vermögenswerte im eigenen Land hätten. Also müssten sie dieses Land erst verkaufen. Selbst wenn sie das wollen, ist das aber häufig schwierig, da kaum jemand ein kleine Stück Land irgendwo in einem abgelegenen ländlichen Gebiet in Portugal kaufen möchte.

Kürzlich konnte man lesen, dass immer mehr Portugiesen die Schweiz verlassen. Wieso? Auch dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits ist die Arbeitslosenquote in Portugal in den letzten Jahren etwas zurückgegangen, sie finden also auch im Heimatland wieder mehr Jobs. Auch die Familie in Portugal spielt sicher eine wichtige Rolle und Rentenbezüge sind in Portugal zehn Jahre lang steuerfrei. Für viele Wirtschaftsmigranten war es ausserdem von Anfang an der Traum, in der Schweiz zu arbeiten und Geld zu verdienen, um nach der Rückkehr in ihr Heimatland ein besseres Leben führen zu können. Das Leben in der Pension gestaltet sich für viele, die hierbleiben, schwierig, insbesondere wenn sie eine «unverkäufliche» Immobilie in Portugal haben. Aber auch die Rückkehr nach Portugal ist nicht immer einfach.

Inwiefern? Wenn jemand nach 30, 40 oder sogar 50 Jahren zurück nach Portugal zieht, muss er oder sie oft feststellen, dass das Land und die Menschen sich verändert haben. Nicht selten fühlen sie sich dann als Ausländer im eigenen Land, da sie sich während der langen Zeit in der Schweiz an die hiesigen Gepflogenheiten gewöhnt haben.

Bald ist Weihnachten. Zieht es die Portugiesinnen und Portugiesen für dieses Fest zurück nach Portugal? Vor allem die Älteren zieht es stark ins Heimatland. Weihnachten bietet die Möglichkeit, die Familie zu treffen, das hat für sie eine grosse Bedeutung. Deshalb war die Einführung einer Quarantäne-Pflicht für sie auch ein Schock. Zum Glück wurde diese wieder aufgehoben.

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