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Vive le Velo!

Paris by Bike: In Frankreichs Hauptstadt stehen ab sofort 10 600 Fahrräder gegen ein geringes Entgelt zur freien Verfügung, um die Seinestadt auf zwei Rädern zu entdecken.

Die Wolkendecke bricht auf, der Himmel leuchtet plötzlich blau, und der Wind kommt von hinten: Ein magischer Pariser Augenblick. Wie auf einem Kissen geht es vorbei an der majestätischen Place de la Concorde, durch die grünen Tuilerien, vorbei am ehrwürdigen Louvre und weiter entlang der Seine bis zur kopfsteingepflasterten Île de la cité, und immer weiter durch die Stadt...bis ein Gendarm plötzlich seinen Arm hebt und «Arretez!» bellt.

Huch, da ist man bei der Testfahrt auf einem der neuen Räder, von denen die Stadtverwaltung ab Sonntag zunächst 10.600 Stück zur Verfügung stellt, aus der falschen Richtung in eine Einbahnstrasse eingebogen. So faszinierend kann es sein, Paris auf zwei Rädern zu entdecken. Der Polizist beäugt das graue, altmodisch designte aber topmoderne Velo und wird neugierig. «Wie fährt es sich denn, ist es nicht zu schwer? Und meinen Sie, das Projekt macht Sinn?»

Das 'Projekt' hat der sozialistische Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoe ausgeheckt - und seine Bürger damit elektrisiert. Die Fahrradrevolution stehe bevor, schreibt das Magazin «L'Express». Dem Beispiel vieler Grossstädte folgend, führt Delanoe einen öffentlichen Fahrradservice ein. An 750 Stationen, die im Abstand von 300 Metern über die Stadt verteilt sind, kann man die Drahtesel ab Sonntag einfach mit EC- oder Kreditkarte ausleihen - ähnlich wie beim Parkscheinautomaten. Bis Ende des Jahres soll die Zahl der Räder auf 20.000 steigen. Finanziert wird der Service vom Aussenwerber JCDecaux, die Stadt kostete er nichts. Und keine Frage, das Projekt hat Sinn. Die Pariser sind Feuer und Flamme, schon mehr als 6.000 Jahresabos sind verkauft, bevor das grosse Radeln überhaupt losgeht.

Nach der Wiederbelebung der klimaneutralen Strassenbahn und dem Ausbau von Radwegen sind die «Velibs» - von 'Velo' (Fahrrad) und 'Liberté' (Freiheit) - der nächster Versuch des Bürgermeisters, seine Drei-Millionen-Metropole grüner zu machen und den Autoverkehr zurückzudrängen. Die Deutsche Bahn hat in Berlin und Frankfurt schon vor einigen Jahren ein vergleichbares System installiert. Allerdings ist das Ausleihen mit dem Handy in Deutschland ungleich komplizierter - und teurer. Auch findet man nicht überall ein Rad.

Für Paris ist der Service eine echte Herausforderung, aber auch eine grosse Chance. Denn die vom Autobahnring eingezäunte Metropole ist noch als Radler-Hölle verschrien. In der Tat erfordert es einen gewissen Mut, sich in den chaotischen Verkehr zu stürzen. Am bedrohlichsten sind die Motorradfahrer, die jeden freien Zentimeter ausnutzen, um an den stockenden Blechlawinen vorbeizupreschen.

Vom Eiffelturm bis Nôtre Dame

Kritikern, die sein Konzept für zu riskant halten, begegnet Rathauschef Delanoe mit seinem Glauben an die Pädagogik: Wenn Radler bald zum Alltag im Strassenverkehr gehören, dann werden die Autofahrer ihr Verhalten entsprechend anpassen, so sein frommer Wunsch. Das Helmtragen ist keine Pflicht beim Benutzten der «Velibs». Auch die graue Farbe der stabilen Räder mit Dreigangschaltung könnte zum Risikofaktor werden. Die Testfahrt endete jedenfalls mehrfach fast mit einem Crash. Das lag vor allem daran, dass die für Radfahrer ausgewiesenen Busspuren einfach zu schmal sind, wenn sich noch ein Motorrad vorbeidrängeln will. Und mit der auf Pariser Strassen eigentlich obligatorischen Hupe sind die Räder leider nicht ausgestattet.

Jenseits der grossen Verkehrsadern kann das Radeln allerdings zu einer sehr entspannten Entdeckungsreise werden. In einer Viertelstunde auf dem Drahtesel lassen sich etwa im Gassenlabyrinth hinter Nôtre Dame überraschend viele malerisch gelegene Bistros entdecken. Mehr als 370 Kilometer Radwege gibt es bereits in Paris, das südliche Seine-Ufer ist vom Eiffelturm bis zur Île de la cité fast durchgehend befahrbar - aber als Radweg bislang nahezu ungenutzt. Dabei ist der Radverkehr laut Stadtverwaltung seit 2001 schon um 50 Prozent gestiegen.

Die Velibs sind die erste halbe Stunde umsonst, danach fallen Kosten an: Das Tagesabo kostet einen Euro, für eine Woche sind es fünf Euro. Wer nur kürzer in die Pedale treten will - die ersten 30 Minuten (nach der kostenlosen halben Stunde) schlagen mit einem Euro zu Buche, danach kostet das Fahrrad vier Euro für jede weitere halbe Stunde.

So sollen die Räder ständig in Rotation bleiben und nirgendwo geparkt werden. Wer einen Ausflug durch den Stadtwald Bois du Boulogne plant, würde daher mit einem herkömmlichen Leihrad billiger fahren. Für den Pariser Stadtbummel vom Museum zum Flohmarkt und zurück ins Hotel kann man sich für jede Etappe ein neues Fahrrad ausleihen. Und wenn man keine Lust mehr hat, gibt man es ab und steigt in den Bus. (dapd)

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