Literatur des 21. JahrhundertsVom Pissoir-Poet zum iPhone-Dichter
Nationalrat Oskar Freysinger dichtet neuerdings auf seinem Handy. Was halten Literaturexperten und Politikerkollegen davon?
«i-Mages» heisst das jüngste literarische Werk von Oskar Freysinger. Der Titel ist Konzept: Der SVP-Nationalrat aus Siders/VS hat sämtliche 52 Kurz-Gedichte auf seinem iPhone verfasst – sogar während langweiligen Parlamentsdebatten. Die Verse mit den Überschriften «Das Perlhuhn», «Die Katze» oder «Die Beine» sind mit künstlerischen Fotos untermalt, die selbstverständlich mit einer iPhone-Kamera geschossen wurden.
«20 Minutes» hat die Gedichte Jérôme Meizoz, Literaturprofessor an der Universität Lausanne, vorgelegt – ohne ihm zu verraten, wer der Autor der Texte ist. In seinem Urteil über deren Qualität will er sich nicht auf die Äste hinaus lassen: «Die Literaturforschung zielt nicht darauf ab, Texte zu werten. Ich konstatiere aber, dass die Form der Verse auf neue Technologien ausgerichtet ist.»
Dies sei mit japanischen Romanen vergleichbar, die per SMS verschickt werden. «Gleichzeitig haben die Strophen eine sehr traditionelle Ästhetik: Poesie bestand schon in Urzeiten aus Vers und Reim», so der Literaturprofessor.
«Ein gewisses Talent»
Das Verdikt von Freysingers Nationalratskollegen fällt ambivalent aus: «Die Gedichte sind manchmal unterhaltsam, manchmal berührend – auf jeden Fall nie banal», sagt Jacques Neirynck (CVP). Auch Christian Lüscher (FDP) attestiert Freysinger ein «gewisses Talent»: Man täusche sich, wenn man ihn als armseligen Poeten bezeichne.
Josef Zisyadis, PdA-Parlamentarier aus Lausanne, schlägt hingegen genau in diese Kerbe: «Freysingers Gedichte haben kaum literarischen Wert. Ich warte nur darauf, dass er die ausgeschafften Ausländer dazu zwingt, die Verse an der Grenze zu rezitieren.»
Nur auf Französisch erhältlich
Freysinger – nach einem Angriff auf die damalige Bundesrätin Ruth Dreifuss auch schon als Pissoir-Poet betitelt – will mit seinen iPhone-Gedichten die «technischen Hilfsmittel vermenschlichen», von denen wir alle Sklaven seien. «Ich möchte den SMS eine gewisse poetische Noblesse zurückgeben. Durch die Zwänge des Alltags werden sie viel zu häufig verstümmelt», schreibt der SVP-Poet im Vorwort seines Gedichtbands.
Das Buch ist ab Mitte Dezember erhältlich. Gedruckt werden 1500 Exemplare – allerdings nur in französischer Sprache. Freysinger: «In der Romandie habe ich keine Mühe, einen Verleger zu finden. In der Deutschschweiz kriegen alle Angst, sobald sie meinen Namen sehen.»
(gco, fum)