Wie weiter nach Berlin?: «Von ‹Merkels Toten› zu sprechen, ist üble Hetze»

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Wie weiter nach Berlin?«Von ‹Merkels Toten› zu sprechen, ist üble Hetze»

Der Politologe Frank Überall erklärt, welche Auswirkungen der Terroranschlag in Berlin für Kanzlerin Angela Merkel und ihre Politik hat.

O. Fischer
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O. Fischer
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Bundeskanzlerin Angela Merkel legt am Berliner Weihnachtsmarkt, wo ein Attentäter mit einem LKW in die Menschenmenge gerast ist und 12 Menschen getötet hat, Rosen nieder.

Bundeskanzlerin Angela Merkel legt am Berliner Weihnachtsmarkt, wo ein Attentäter mit einem LKW in die Menschenmenge gerast ist und 12 Menschen getötet hat, Rosen nieder.

/Sean Gallup
Trauer nach dem Terror: Junge Frauen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Kudamm.

Trauer nach dem Terror: Junge Frauen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Kudamm.

Reuters
Auch auf Weihnachtsmärkten in Frankreich werden die Sicherheitsmassnahmen erhöht: Polizisten in Paris. (20. Dezember 2016)

Auch auf Weihnachtsmärkten in Frankreich werden die Sicherheitsmassnahmen erhöht: Polizisten in Paris. (20. Dezember 2016)

AFP

Bei jedem terroristischen oder jihadistischen Zwischenfall in Deutschland wird Angela Merkel mit Kritik eingedeckt. Ist diese Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik gerechtfertigt?

In ihrer Überspitzung ist die Kritik völlig unangemessen. Wenn zum Beispiel ein führender AfD-Politiker im Zusammenhang mit dem Berliner Anschlag von «Merkels Toten» spricht, ist das einfach nur noch üble Hetze. Der eigentlich notwendige Diskurs wird dadurch verhindert: Asylverfahren müssen schneller und gründlicher werden. Wobei man beachten muss, dass die Flüchtlingskrise so nicht voraussehbar war. Insgesamt hat die deutsche Bundesregierung aus meiner Sicht ordentlich gehandelt.

Wie nahe geht diese zum Teil extrem persönliche, scharfe Kritik der Kanzlerin?

Im politischen Geschäft wird zuweilen mit harten Bandagen gekämpft, das ist nicht ungewöhnlich. Die bewusst beleidigenden Anwürfe von ganz rechts sind deshalb so belastend für jede Politikerin und jeden Politiker, weil sie in Teilen der Gesellschaft offenbar unreflektiert begrüsst werden – das geht an niemandem spurlos vorbei.

Sollte sich der jüngste Fall als Tat eines Flüchtlings herausstellen, werden sich ihre politischen Gegner noch aggressiver auf Merkel stürzen. Kommt irgendwann der Moment, in dem ihr Amt oder zumindest die erneute Kandidatur kippt?

Es ist gerade ein Vorteil von Angela Merkel, dass sie mit ihrer ruhigen Art auch stürmische Zeiten übersteht. Würde sie wie andere Politiker der öffentlichen Meinung «hinterherlaufen» und populistisch ihr Fähnchen in den Wind hängen, geriete sie noch viel mehr unter Druck. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass Angela Merkel nicht wiedergewählt wird – das ist aber in einer Demokratie normal.

Welche politischen Massnahmen sind jetzt von der Kanzlerin zu erwarten?

Sie wird sich den Herausforderungen der Flüchtlingspolitik stellen müssen, wozu vor allem die soziale Integration gehört. Bei der Terrorabwehr wird sie versuchen müssen, nicht zu überziehen und unsere Freiheitsrechte unter dem öffentlichen Druck nicht zu sehr einzuschränken. Ihre grösste Schwierigkeit aber wird sein, im kommenden Bundestagswahlkampf gegen postfaktischen Populismus argumentativ anzukämpfen.

Hat Merkel angesichts der Kritik aus den eigenen Reihen überhaupt noch eine realistische Chance auf Wiederwahl?

Kritik auch aus den eigenen Reihen ist wesentlicher Bestandteil eines gesunden demokratischen Diskurses. Auch wenn sie amtierende Bundeskanzlerin ist, stellt sie sich und ihr Konzept zur Wahl – und bei der Abwägung der Alternativen hat sie durchaus grosse Chancen, noch einmal gewählt zu werden.

Gibt es ernsthafte Kandidaten, die Merkel beerben können? In der CDU oder in anderen Parteien?

In der CDU sieht es ziemlich übersichtlich aus – wobei sich Angela Merkel unter Helmut Kohl auch nicht offensiv als mögliche Nachfolgerin positioniert hat. Mit dem ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz hat die SPD eine spannende Alternative. In den nächsten Monaten wird sich herausstellen, wer sich gerade in Zeiten zugespitzter politischer Kommunikation am besten durchsetzen kann mit einer ausgewogenen Mischung aus Fakten und Emotionen.

Es stehen neben der Bundestagswahl auch Wahlen in mehreren Bundesländern bevor. Wie stark kann die AfD von diesem Anschlag profitieren?

Die AfD wird weiterhin versuchen, jegliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit als ihr Thema zu reklamieren. Viele Menschen merken aber auch, dass dahinter wenig politische Substanz steht. Es wird alles davon abhängen, ob diese Menschen dann auch zur Wahl gehen oder ob sie den «Wutbürgern» das Feld überlassen.

Zu welcher Strategie würden Sie Merkel für die kommenden Wochen und Monate raten?

Sie muss unaufgeregt ihren Job machen und ihrer Rolle treu bleiben: mit ruhiger Hand regieren und sich von populistischen Stimmungen nicht treiben lassen. Sie wird die Herausforderung meistern müssen, ihre Schwesterpartei CSU und ihren Koalitionspartner SPD genauso wenig zu verprellen wie die Grünen als potenziellen Partner der Zukunft. Sicher wäre es angebracht, wenn sie ihre Politik an der einen oder anderen Stelle etwas ausführlicher erklären und noch klarer Stellung beziehen würde.

Prof. Dr. Frank Überall lehrt Politik- und Medienwissenschaft an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (Köln/Berlin).

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