Cablegate: Vorsicht im Umgang mit US-Diplomaten gefordert

Aktualisiert

CablegateVorsicht im Umgang mit US-Diplomaten gefordert

Der grosse Scoop fehlt bis anhin. Trotzdem wird im Bundeshaus jede neue Meldung über die Wikileaks vorliegenden Depeschen aus der Berner US-Botschaft mit Argusaugen verfolgt.

Ronny Nicolussi
Bern
von
Ronny Nicolussi
,
Bern
255 Depeschen wurden in den letzten fünf Jahren von hier nach Washington übermittelt: US-Botschaft in Bern.

255 Depeschen wurden in den letzten fünf Jahren von hier nach Washington übermittelt: US-Botschaft in Bern.

Der Inhalt der 255 Depeschen, die in den letzten fünf Jahren aus der US-Botschaft in Bern an die Zentrale in Washington gesendet wurden, wird nur tröpfchenweise bekannt. Brisante Informationen aus der oder über die Schweiz gab es in den über 250 000 von Wikileaks einer Handvoll internationaler Zeitungen zugespielten geheimen US-Dokumenten bisher keine.

Gemäss einer Depesche hat etwa ein Agent der US-Bundespolizei FBI 2006 in der Abteilung für Terrorismusbekämpfung der Schweizer Bundeskriminalpolizei (fedpol) gearbeitet. Das fedpol bestätigte die Zusammenarbeit. Weitere Depeschen hätten die Rolle von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in der Libyen- und der Polanksi-Affäre beschrieben, hiess es. Zudem wurde bekannt, dass sich der ehemalige US-Botschafter Peter Coneway abfällig über die Schweiz und die Politiker Christoph Blocher und Ueli Maurer geäussert hat.

Für den Zuger Nationalrat der Grünen, Jo Lang, zeigen diese Dokumente eindeutig, dass die Schweiz im Umgang mit US-Diplomaten vorsichtiger werden muss. Dass erste Depeschen veröffentlicht wurden und weitere noch veröffentlicht werden, begrüsst das Mitglied der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats. Zwar sei die Diplomatie auf gewisse Vertraulichkeit angewiesen. «Aber eine Verhinderung von Kriegen ist das höhere Gut, als Vertraulichkeit», findet Lang. Die Enthüllungen hätten drei positive Effekte: «Der Afghanistan-Krieg wird schneller beendet, ein möglicher Iran-Krieg wird erschwert und eine Wiederholung von Kriegen wie im Irak und in Afghanistan wird ebenfalls erschwert.»

«Assange sollte ermordet werden»

«Irgendwo gibt es immer ein Leck.»

Ganz anders stuft die Situation Langs Komissions-Kollege Jürg Stahl ein. Der Zürcher SVP- Nationalrat stellt sich die Frage: «Wem nützt diese Publikation etwas?» Mehr als Transparenz schaffen, zerstöre die Enthüllung Vertrauen. Dabei gehe es längst nicht nur um politische Transparenz. «Jedes grössere Unternehmen muss sich künftig überlegen, wie es die eigenen Dokumente aufbewahren will», so Stahl. Heute könne man offensichtlich niemandem mehr trauen. «Irgendwo gibt es immer ein Leck.» Administrationen fordert er deshalb auf, im Umgang mit Daten vorsichtiger zu werden.

Hillary Clinton über Wikileaks

Die Situation aus Schweizer Sicht nicht dramatisieren mag die nationalrätliche APK-Präsidentin Christa Markwalder. Schweizer Verfasser solcher Depeschen sollten sich lediglich im Klaren sein, welche Risiken sie eingingen, meint die Berner FDP-Politikerin. Da wichtige Dokumente nur über die dafür vorgesehenen speziell geschützten Kommunikationsmittel übermittelt und in Papierform aufbewahrt würden, sei ein vergleichbarer Datendiebstahl in der Schweiz unwahrscheinlich. «Trotzdem sollten sich sämtliche Geheimdienst- und Botschaftsmitarbeiter bemühen, ihre Berichte in einer diplomatisch korrekten Sprache zu verfassen», findet Markwalder. Herablassende Bemerkungen, wie sie in den veröffentlichten US-Dokumenten vorkämen, seien völlig unnötig.

«Erwarte keine böse Überraschung»

Die Veröffentlichung der Depeschen durch Wikileaks stuft Markwalder als heikel ein. Aus Interessen der Staatssicherheit hätte man darauf verzichten sollen, findet sie, auch wenn sie einräumt, jede neuste Entwicklung in diesem Fall mit Argusaugen zu verfolgen. Dass in den noch nicht publizierten Dokumenten für die Schweiz heikle Fakten aufgedeckt werden könnten, glaubt die APK-Präsidentin aber nicht: «Ich erwarte keine böse Überraschung.»

Für den APK-Präsidenten des Ständerats, Eugen David, zeigt der Cablegate-Skandal die unguten Seiten des amerikanischen Sicherheitswahns auf: «Die Sicherheit hat durch diesen Skandal abgenommen. Die USA haben sich neue Feinde geschaffen und bieten neue Angriffsflächen.» Konsequenzen müssten daher in erster Linie die Vereinigten Staaten selbst ziehen, da sie bei der Aufbewahrung der Dokumente völlig versagt hätten. Konsequenzen in Bezug auf die Beziehung der Schweiz mit den USA findet David hingegen nicht nötig.

Informationen über Bunga-Bunga

Wie Markwalder fordert auch er von den Schweizer Verfassern von Depeschen eine nötige Zurückhaltung: «Die Fakten müssen stimmen und seriös wiedergegeben werden.» Weil das bei bereits veröffentlichten US-Dokumenten nicht immer der Fall gewesen sei, geht der St. Galler CVP-Ständerat davon aus, dass sich nun der eine oder andere Verfasser für Unwahrheiten entschuldigen werden müsse. Mit seinem Aufruf zu Seriosität wolle er aber keinesfalls Meinungsäusserungen in solchen Berichten verbieten: «Manchmal ist es ganz nützlich zu wissen, was für Hobbys ein Politiker hat, ob er ein Familienmensch ist oder lieber Bunga-Bunga-Partys feiert.»

Das Aussendepartement EDA wollte sich vorerst weiterhin nicht zum Fall äussern. «Wenn die Inhalte der Dokumente einmal im Detail bekannt sind, werden wir sehen, ob und wie reagiert werden soll», hiess es lediglich auf Anfrage. Informationen der «Aargauer Zeitung», wonach das EDA seit Dienstag Einsicht in die Depeschen der Amerikaner haben soll, blieben unbestätigt.

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