Vorwürfe von Anushka RoshaniMobbing und sexuelle Belästigung? «Magazin»-Team entlastet Canonica
Ex-«Magazin»-Redaktorin Anuschka Roshani schrieb in einem Beitrag im «Spiegel», sie habe durch ihren Vorgesetzten Sexismus und Mobbing erfahren. Ein Untersuchungsbericht kommt zu anderen Ergebnissen. Auch «Magazin»-Journalisten erzählen eine andere Version der Dinge – und üben scharfe Kritik an den Schweizer Medienberichten zum Fall.
Darum gehts
Anuschka Roshani arbeitete 14 Jahre lang beim «Magazin» unter der Leitung von Chefredaktor Finn Canonica.
Der Chef soll sie jahrelang gemobbt haben, behauptet die deutsche Journalistin.
Eine Recherche von «Schweizer Journalist:in» sowie der Untersuchungsbericht einer Anwaltskanzlei entlasten Canonica.
Aktuelle «Magazin»-Mitarbeitende werfen den Medienberichten zum Thema Fahrlässigkeit und mangelnde Recherchen vor.
Ein Enthüllungsbericht im «Spiegel» schlug Anfang Februar in der Schweizer Medienlandschaft wie eine Bombe ein. Anuschka Roshani, ehemalige Redaktorin beim Zürcher «Magazin», erhob in einem Gastbeitrag schwere Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Chef Finn Canonica. Machtmissbrauch, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, strukturelles Mobbing. Nachdem das Verlagshaus Tamedia eine Untersuchung durch eine Anwaltskanzlei anordnete, trennte sich das Unternehmen im Juni 2022 vom langjährigen Chefredaktor des «Magazins». Monate später kündigte das Unternehmen auch Roshani.
Eine umfassende Recherche der «Schweizer Journalist:in» (SJ) beleuchtet den «Spiegel»-Bericht – aber anders als der «Spiegel», der die Version Roshanis durch die Aussagen ehemaliger, anonymer Mitarbeitende stützen liess, befragte die «Schweizer Journalist:in» Mitglieder der aktuellen «Magazin»-Redaktion. Vier Frauen und vier Männer, die zwar auch nicht namentlich genannt werden wollen, jedoch den Konflikt zwischen Roshani und Canonica miterlebten, entlasten den früheren Chefredaktor. Sie sind nicht die einzigen: Der Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Rudin Cantieri, in den Radio 1 Einblick hatte, entlastet Canonica ebenfalls.
«Schwer erkennbar» ob Roshani oder Canonica «der Chef war»
Von einem besonders grossen Machtgefälle zwischen Roshani und Canonica wollen die aktuellen «Magazin»-Mitarbeitenden nichts wissen. Im Gegenteil, Roshani sei besonders forsch aufgetreten: «Für jemanden, der in den vergangenen Jahren neu auf die Redaktion kam, war eigentlich schwer erkennbar, wer denn nun von den beiden der Chef war», so eine Person gegenüber der «SJ».
Es habe ein Umgang geherrscht, «wie er ausserhalb der Medienbranche, beispielsweise bei Banken oder in der Beratungsbranche, niemals möglich wäre». Verbale Spitzen, mit denen sich beide bis zuletzt immer wieder gegenseitig eingedeckt hätten, würden in der Redaktion mit einer besonderen, sehr lange bestehenden Beziehung zueinander erklärt.
«Fuck» statt «ficken»
Die «Schweizer Journalist:in» geht in ihrer Recherche den Vorwürfen Roshanis der Reihe nach durch. So hatte die Journalistin etwa angegeben, Canonica habe Redaktorinnen - vor allem Praktikantinnen - sexuell belästigt. Der «Beobachter» illustrierte deshalb seine Story über Sexismus am Arbeitsplatz und den Fall Canonica mit einer Zeichnung einer
Männerhand auf dem Oberschenkel einer Frau. «Absoluter Bullshit», sagt dazu ein «Magazin»-Redaktionsmitglied gegenüber der «Schweizer Journalist:in. «Ganz im Gegenteil. Canonica pflegte ein sehr gutes und sehr professionelles Verhältnis zu Praktikantinnen», betont jemand anders.
Auch die Schilderung der angeblich auf dem Schreibtisch Canonicas liegenden künstlichen Frauenbrust «mit nach oben gerichteter Brustwarze» muss nach den aktuellen Berichten mit Vorsicht genossen werden: Laut «Radio 1» erklärte der plastische Chirurg, von dem das fragliche Objekt stammt, er habe Finn Canonica erst im Jahr 2018 ein Brustimplantat geschenkt. Den Vorwurf erhoben hatte allerdings ein Mitarbeiter, der seit 2014 nicht mehr beim Magazin arbeitet. Zudem: Implantate sind nicht als Brust zu erkennen und haben insbesondere keine Brustwarzen.
Auch dass der Boss ständig das Wort «ficken» gesagt habe, wie Roshani behauptet, sei nicht ganz wahr, so die Zeugen und Zeuginnen gegenüber der SJ. Er verwendete das Wort «fuck» – ein Wort, das selbst der Untersuchungsbericht der externen Kanzlei als einen umgangssprachlichen Begriff bezeichnete. «Eine sexuelle Belästigung konnte nicht ausgemacht werden», zitiert Radio 1 aus dem Gutachten.
Die Sache mit den Hakenkreuzen
Weiter befasst sich die «Schweizer Journalist:in» mit den Hakenkreuzen, die laut der Deutschen Roshani der Chefredaktor als Korrektur-Merkmal auf ihre Texte zeichnete. Das Thema sei in der Redaktion nie thematisiert worden, sagen die Tamedia-Mitarbeitende gegenüber der SJ. Es sei nicht eine laufende Praxis gewesen. Ausserdem habe man die Zeichen nie mit der ideologischen Position Canonicas in Verbindung gesetzt.
Der Untersuchungsbericht der Kanzlei Rudin Cantieni kommt zu einem etwas anderen Schluss. Die Verwendung der Hakenkreuze müsse als «eine Diskriminierung aufgrund der Nationalität gesehen werden, auch wenn sich sonst keinerlei derartige Diskriminierungstendenzen feststellen liessen».
Die «Ungefickte» vs. die «Untervögelte»
Gelassen seien die «Magazin»-Mitarbeitenden damit umgegangen, wenn der Chef im Beisein Roshanis das Wort «Pfarrermätresse» verwendet habe. Für Roshani habe das bedeutet, dass Canonica ihr unterstellt habe, eine Recherche mit Sex forciert zu haben. Die anderen Mitarbeitenden hätten das überhaupt nicht so interpretiert.
Im «Spiegel» gibt Roshani an, Canonica habe sie auch die «Ungefickte» genannt. Bei den Ermittlungen dazu befragte das Team von Rudin Cantieni eine enge Arbeitskollegin Roshanis. Diese verwendete zunächst den Begriff die «Untervögelte». Nachdem Roshani von der «Ungefickten» sprach, verwendete auch ihre Kollegin, die als Einzige den Ausdruck gehört haben will, dieses Wort. Für die Anwaltskanzlei sei dies ein Beleg dafür, dass sich die beiden Frauen austauschten.
Von «Klima der Angst» zu aussergewöhnlich positiv
Das Arbeitsklima innerhalb der Redaktion bezeichnen die Mitarbeitenden des «Magazins» gegenüber der SJ als aussergewöhnlich positiv. Von Mobbing wollen sie nichts wissen. Sie erzählen jedoch von einem Bruch rund um das Jahr 2014, mit einer Reihe von Abgängen. Vor einigen Jahren sei Finn Canonica eine überforderte Führungskraft gewesen, es habe damals tatsächlich ein «Klima der Angst» geherrscht. Mehrere Kernmitglieder verliessen das «Magazin». «Das sind jetzt jene, die anonym in den Medien reden», sagt ein Mitglied des aktuellen Teams.
Mit der Zeit habe sich die Dynamik in der Redaktion jedoch verändert. «Vielleicht fand er sich nicht mehr so bedroht, die Neuen waren auch nicht mehr so konfrontativ», erklärt ein Mitarbeitender.
Scharfe Kritik an Schweizer Medienberichterstattung
Die «Magazin»-Mitarbeitenden zeigen sich gegenüber der SJ konsterniert darüber, dass fast alle Schweizer Medien, die über den Fall berichteten, die Schilderungen Roshanis weitgehend unhinterfragt und ohne eigene Recherchen einfach übernommen – oder wie im Fall des «Beobachter» – sogar noch illustrativ ausgeschmückt haben. «Nach dieser Erfahrung glaube ich Berichten in Schweizer Medien kein Wort mehr, solange ich sie nicht selbst recherchiert und geschrieben habe», so eine langjährige, erfahrene «Magazin»-Journalistin. «Es wurden Äpfel und Birnen fahrlässig vermischt», hiess es.
«95 Prozent der Vorwürfe stammen aus einer Zeit rund um beziehungsweise vor 2014. Und in den Berichten, vom ‹Spiegel› abwärts, wird so getan, als ob das ein unwichtiges Nebendetail wäre», meint ein Reporter. «Wir wurden als Mittäter denunziert, die ein sexistisches Monster bei seinem Treiben gedeckt haben sollen, und das teilweise von renommierten Kollegen.» Den Aussagen zufolge sei auch kein aktueller Mitarbeiter oder Mitarbeiterin der «Magazin»-Redaktion je kontaktiert worden, auch nicht vom «Spiegel».
Fehlende zeitliche Einordnung
Die «Schweizer Journalist:in» betont in ihrem fünfseitigen Artikel, dass sie nicht beabsichtigt, Anuschka Roshanis Darstellung infrage zu stellen. Die Zeitschrift bemängelt aber im «Spiegel»-Beitrag eine zeitliche Einordnung der Vorfälle. Auch sei für ein nachvollziehbares Bild des Konflikts wichtig, die aktuelle Redaktion zu Wort kommen zu lassen. «Es handelt sich um ein Mosaiksteinchen eines grossen Themas», schreibt der Autor in seiner Recherche.
«Das Magazin» gehört wie 20 Minuten zur TX Group.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von (Cyber-)Mobbing betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Fachstelle Mobbing (kostenpflichtig)
Elternberatung, Tel. 058 261 61 61
Hilfe bei Mobbing, Fachstelle für Schulen und Eltern (kostenpflichtig)
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
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