Mike Shiva«'Wahrsager' tönt doch noch am besten»
In einem SF-Doku gibt Hellseher Mike Shiva zu, mit Allgemeinplätzen und Binsenwahrheiten zu arbeiten. Seine zahlenden Kunden scheint das aber gar nicht zu stören.
- von
- obi
«Jeder Mensch hat eine Stimme, und in dieser Stimme hat es eine Schwingung. Jeder Name, jedes Geburtsdatum hat auch seine Bedeutung. Auch jede Art vom Reden hat eine Aussage. Und wenn man das alles ein bisschen zusammentut und ein Spürchen von der Wahrnehmung, vom Hellsichtigen und noch die Karten [dazunimmt], gibt es mir die Möglichkeit, als Schnelldenker und als Geübter auf Fragen eine konkrete Antwort zu geben.»
Ach so funktioniert das also mit der Seherei, Herr Shiva! Doch während der selbsternannte «Hellseher und Zukunftsberater» am Anfang der SF-Doku «Engel oder Bengel? – Mike Shivas Imperium» noch eher verwirrende als erläuternde Antworten gibt, lässt er im Verlauf der Sendung doch noch wahrhaftige Einblicke in das Handwerk des Wahrsagens zu. Und obwohl der geneigte Zuschauer dabei bald merkt, dass Wahrsagerei der Marke «Mike» wenig mit übersinnlichen Fähigkeiten und viel mit Allgemeinplätzen zu tun hat, kommt der Stirnbandträger mit dem Dackelblick trotzdem erstaunlich sympathisch rüber.
Zuweilen ist das Filmportrait gar berührend: Etwa wenn Mike Shiva erzählt, dass er und sein Geschäftspartner, Shiva-TV-Sendeleiter Patrick Gutter, ein Liebespaar waren. Inzwischen hat Gutter ein Frau und zwei Kinder. Mike Shiva ist der Pate ihres Nachwuchses, der ihn als «den coolsten Götti» bezeichnen.
Telefone wie Kassen klingeln
Der Wahrsager selbst hat sich damit abgefunden, dass er vermutlich nie wieder eine Liebesbeziehung haben wird. Privatleben und Ehebett teile er ausschliesslich mit seinem Hund, wie er anlässlich der Wohnungsbesichtigung unumwunden zugibt. Eine stattliches Heim, wie die SF-Reporterin anmerkt - wobei das unbequeme Thema Geld angesprochen wird. Gerne betont Shiva, dass alle Profite aus seinen TV-Sendungen sofort wieder in Ausrüstung und Ausbau reinvestiert werden. Dass sein extrovertierte Kleiderstil auch dazu gehört, versteht sich von selbst.
Die Telefone klingeln, die Kassen auch. Jeder Anruf kostet einem Seelsuchenden 4.50 Franken – gutes Geld, mit dem Mike Shiva auch Sendezeit auf diversen Schweizer Privatfernsehen einkauft. Das Geschäft floriert, inzwischen beschäftigt Shiva-TV 50 Teilzeitarbeitende. Darunter sind freilich diverse Nachwuchs-Hellseher, die ihre Anstellung beim grossen Guru Mike als Sprungbrett für eine eigene Karriere betrachten – etwas, das nicht immer von der Chefetage honoriert wird. Ein Aussteiger berichtet da etwa, wie er fristlos entlassen wurde, als seine Absicht, eine selbstständige Lebensberater-Karriere aufzubauen, publik wurde. Auch der Lohn für seine Live-TV-Lebensberatung sei nicht gerade grossartig gewesen: So um die 20 Franken pro Stunde.
Trotzdem mangelt es nicht an Nachwuchs. So zeigt «Reporter» das Bewerbungsgespräch eines wunderbar flamboyanten jungen Deutschen mit dem erhellenden Namen Saint von Lux. Mike Shiva stellt ihm die Testfrage: «Ich bin alleine. Wird das so bleiben, oder siehst du, dass eine Veränderung auf mich zukommt?» Der junge Herr zuckt seine Tarotkarten und gibt zu Antwort: «Also eigentlich sagen dir die Karten vorweg, dass diese Frage nichts anderes bedeutet, als dass du eine Selbstbestätigung haben möchtest. Dir ist die Tendenz und die Richtung bereits klar.»
Korrekt. Der Mann versteht was von Hellseherei: Es scheint in erster Linie darum zu gehen, den Ratsuchenden eine Bestätigung für ihre bereits ausformulierten Vermutungen zu liefern. Die Kunst ist es, dies in eine möglichst allgemeine Antwort zu verpacken, bei dem der sich Kunde trotzdem persönlich angesprochen fühlt.
Ob das der Grund ist, weshalb es Mike Shiva und sein Geschäftsführer nicht gänzlich wohl ist, wenn es um konkrete Aussagen übers Geschäft geht? Schämen sie sich etwa, Geld für etwas zu nehmen, das … ja für was eigentlich? Selbst Mike weiss keine eindeutige Antwort: «Ich selbst weiss es nicht. Ich denke, 'Wahrsager' ist etwas, das noch am besten tönt, denn Wahrheiten sagen, ist das, was ich am besten mache.» Wie viele seiner Lebensratschläge, ist auch dieser Satz inhaltlich korrekt, aber unglaublich beliebig. Nicht umsonst wurde ihm auch schon Abzockerei vorgeworfen.
Der Stiftung für Konsumentenschutz und das Konsumentenmagazin «K-Tipp» werfen ihm auch vor, Geld mit verzweifelten Personen zu machen. Vom Zürcher Sektenexperten Hugo Stamm wird er der «Abzockerei» bezichtigt, er gebe «Binsenwahrheiten und psychologisches Pseudowissen ab, die auf jeden zutreffen können».
«Das Hellsehen ist ein kleiner Anteil»
Mike Shiva gibt dies zuweilen mehr oder weniger offen zu. Es gebe durchaus Aussagen, die allgemein sind, gibt er in «Engel oder Bengel» zu Protokoll, es gebe auch Binsenwahrheiten, die man in Aussagen verbindet. «Es ist nicht 100% alles Hellsehen. Da ist auch ein grosser Prozentsatz gesunder Menschenverstand. Das Hellsehen ist ein kleiner Anteil. Doch dieser kleiner Anteil ist wichtig, ganz bestimmte Punkte auf den Punkt zu bringen.»
Noch gibt es genug Leute, die seine Fähigkeit schätzen, Punkte auf den Punkt zu bringen. Pseudowissenschaftlich oder nicht, Mike Shiva gehört zweifelsohne zu den Personen, ohne die die Schweizer Medienlandschaft einiges langweiliger wäre.