Wahl in DeutschlandWarnung vor Katastrophe nach Twitter-«Verrat»
Bereits 90 Minuten vor Schliessung der Wahllokale in Deutschland waren am Sonntag erste Zahlen im Internet aufgetaucht. Ein Verstoss gegen das Wahlgesetz, der sich bei der Bundestagswahl zum GAU ausweiten könnte.
- von
- pbl
Die Wahlgesetze in Deutschland halten es eindeutig fest: Vor Schliessung der Wahllokale – in der Regel um 18 Uhr – dürfen keine Zahlen veröffentlicht werden. Die Wahl könnte sonst unzulässig beeinflusst werden, so die Befürchtung. Allerdings erhalten Parteien und Journalisten die Resultate von Nachwahlbefragungen – so genannten Exit-Polls – bereits am Nachmittag, um Reaktionen und Einschätzungen vorbereiten zu können.
Bislang funktionierte dieses System, die Beteiligten hielten dicht. Im Zeitalter des Internets aber ist die Diskretion nicht mehr gesichert, wie die Landtagswahlen vom Sonntag zeigten. Bereits ab 16.30 Uhr gaben gemäss «Spiegel Online» zwei Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter Zahlen für das Saarland, Sachsen und Thüringen bekannt. Diese entsprachen fast genau den um 18 Uhr im Fernsehen veröffentlichten Prognosen und konnten kaum geraten sein.
CDU-Twitterer distanziert sich
Einer der Twitter-Accounts war derjenige von Patrick Rudolph, CDU-Chef im Dresdner Vorort Radebeul. Er bestritt gegenüber «Spiegel Online», die Zahlen veröffentlicht zu haben: «Ich weiss nicht, wer das geschrieben hat.» Er habe den Account gelöscht, sagte Rudolph. Bereits bei der Wiederwahl von Horst Köhler als Bundespräsident im Mai war es zu einem solchen «Verrat» gekommen. Zwei Bundestagsabgeordnete hatten das Ergebnis noch vor der offiziellen Verkündigung auf Twitter bekannt gegeben.
Im Hinblick auf die Bundestagswahl in vier Wochen warnte Bundeswahlleiter Roderich Egeler vor einer Katastrophe: «Es wäre der GAU, wenn die Wählerbefragungen vor Schliessung der Wahllokale öffentlich bekannt würden.» Im schlimmsten Fall könnte das Ergebnis angefochten und für ungültig erklärt werden. Ob die «Katastrophe» tatsächlich eintritt, wird man am 27. September erfahren.
«Verhindern kann man das nicht»
Ein Experte versucht zu beruhigen: «Verhindern kann man das nicht», sagt der Giessener Politikwissenschaftler Christoph Bieber zu den Vorabveröffentlichungen vom Sonntag. Als Motiv sieht er eher die Hoffnung auf «15 Minuten Ruhm» als das Ziel einer Beeinflussung der Wahl. Dafür seien die Zahlen am Sonntagnachmittag auch zu spät ins Internet gestellt worden. Man benötige mindestens eine halbe Stunde oder mehr, um eine relevante Zahl von Internet-Nutzern zu erreichen. Damit gebe es auch keine rechtliche Handhabe, die Wahl anzufechten. (pbl/dapd)