Paid ContentWarum bezahlen?
Das «Hamburger Abendblatt» und die «Berliner Morgenpost» bitten ihre Leser für exklusive Online-Inhalte zur Kasse. Sie werden dabei von der gesamten Medienbranche genau beobachtet. Denn bislang bekommen Leser fast alles gratis. Daher schreiben nur wenige Web-Medien gute Zahlen. Das System der beiden Springer-Nachrichtenseiten lässt sich allerdings einfach austricksen: Jeder kann alles kostenlos nutzen.
- von
- Henning Steier
Matthias Döpfner, Vorstandschef der Axel Springer AG, wählte in einem aktuellen Interview mit dem Manager Magazin markige Worte: Inhalte kostenlos im Web anzubieten - das liegt für Döpfner in «abstrusen Fantasien von spätideologisch verirrten Web-Kommunisten» begründet. Dass Artikel im Netz fast überall gratis zur Verfügung gestellt werden, kommentierte er so: «Diesen Unsinn haben leider mehr als ein Jahrzehnt alle Verlage der Welt betrieben. Wir waren nicht gross genug, um diesen Wahnsinn allein zu stoppen.» Döpfners Erregung lässt sich unter anderem damit erklären, dass die meisten Medienunternehmen im Web-Geschäft bislang deutlich weniger verdienen als mit Zeitungen und Zeitschriften. Um das digitale Geschäft auszubauen, bietet Springer seit knapp einer Woche kostenpflichtige Apps für seine Zeitungen «Die Welt» und «Bild» an. Nutzer können zwischen Monatsabos mit PDF-Ausgabe des jeweiligen Blattes und ohne wählen. Für «Bild» werden ohne PDF 2,40 Franken im Monat, mit sechs Franken fällig. «Die Welt» kostet ohne PDF 4,50 Franken, mit 7,50 Franken monatlich. In den ersten dreissig Tagen kann man nur die Version ohne PDF nutzen. Sie kostet für «Die Welt» 2,40 Franken und für «Bild» 1,20 Franken.
Mitte November hatte James Harding, Chefredaktor der Londoner «Times», angekündigt, die Leser ab Frühling 2010 zur Kasse bitten zu wollen. Nun prescht Springer vor: Seit wenigen Tagen probieren die Onlineausgaben der Springer-Blätter «Berliner Morgenpost» und «Hamburger Abendblatt» aus, ob Nicht-Abonnenten bereit sind, für lokale Inhalte und Archivzugänge umgerechnet 7,50 Franken beziehungsweise zwölf Franken zu bezahlen. Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Abendblatts, begründete die Entscheidung so: «Qualitätsjournalismus ist per se eben nicht kostenlos, sondern kostenintensiv. Wer Qualitätsjournalismus zum Nulltarif will, will keinen Qualitätsjournalismus. Jede Redaktion stellt etliche Arbeitskräfte für das Sichten, Gewichten, Bebildern und Schreiben von Nachrichten, für das Recherchieren von Geschichten, das Verfassen von Kommentaren, die investigative Reportage. Recherche kostet Geld, Reisen, Spesen, Zeit.» Medien seien mehr als blosse Abspielstationen von vielfältigen Inhalten, sie seien Mittler von Informationen zwischen Menschen. Trotz aller Twitterei und Bloggerei bedürfe es einer Instanz, die prüfen und nachprüfen muss, die den Schein mit der Realität, die Plattitüde mit den Fakten, die Inszenierung mit der Wirklichkeit, das Schrille mit dem Relevanten abgleiche.
«Vielleicht ist es aussichtslos»
Und dann folgt eine Passage, die nicht nur vom renommierten Medienjournalisten Stefan Niggemeier scharf kritisiert wird. Iken schrieb: «Ist es zu viel verlangt, in Zeiten, wo aufgeschäumter Kaffee im Pappbecher drei Euro kostet oder das Telefonvoting für sinnbefreite Casting-Shows mindestens 50 Cent, für das Produkt Qualitätsjournalismus knapp 30 Cent am Tag zu bezahlen?» Niggemeier, der unter anderem für die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» arbeitet, schrieb in seinem Blog: «Was er (Iken, Anmerkung der Redaktion) offensichtlich nicht verstanden hat: Die Antwort auf diese Frage gibt nicht er. Die Antwort geben die Menschen, denen vielleicht tatsächlich der 'Kaffee im Pappbecher' drei Euro wert ist, aber der Artikel aus dem Abendblatt, und sei er noch so aufwendig recherchiert, keine drei Cent. Weil sie der Kaffee glücklich macht, und sie sich nicht von irgendeinem dahergelaufenen Vize-Chefredakteur bei Springer erzählen lassen wollen, ob die Casting-Show, bei der sie mitfiebern und mitwählen, 'sinnbefreit' ist.» Ikens Schlusspassage «Vielleicht ist es aussichtslos. Vielleicht ist es selbstmörderisch. Vielleicht ist es auch unverschämt. Doch vor allem ist es eins: Es ist alternativlos.» kommentierte Niggemeier so: «Anscheinend glauben die Verantwortlichen beim Abendblatt, die Redensart vom Selbstmord aus Angst vor dem Tode sei keine Warnung, sondern ein Ratschlag.»
Niggemeier kritisiert ausserdem, dass Leser vor zwei Tagen ohne jede «Ankündigung plötzlich vor geschlossenen Schranken mit Euro-Zeichen gestanden» hätten. «Und nicht nur die Leser: Auch viele Mitarbeiter wussten nichts davon, dass die Angebote, für die sie arbeiten, nicht mehr frei zugänglich sind», schreibt er, dessen Beitrag mittlerweile 242 Leserkommentare erhalten hat. Das ist selbst für einen der populärsten Medien-Blogs viel. Nutzer Peter schreibt: «Und es ist so dilettantisch umgesetzt wie kaum etwas anderes im Web: Wenn man den User Agent des Browsers (zum Beispiel per User Agent Switcher-Add-on für Firefox) auf Googlebot umstellt, kann man wieder alles kostenlos lesen. Meine Herren, so werdet ihr nie Geld verdienen.»
Lücke soll gewollt sein
In der Tat können User von Abendblatt und Morgenpost mit diesem Trick die Bezahlschranken niederreissen, wie in der obigen Bilderstrecke zu sehen ist. Ausserdem kann man die Überschriften kostenpflichtiger Berichte in die Suchmaske von Google News Deutschland eingeben und dann den Artikel lesen. Das soll aber nicht an Fehlern bei der Implementierung des Systems liegen: «Dass wir kostenpflichtige Artikel über Google News und Tools wie den User Agent Switcher für den Firefox zugänglich machen, ist Absicht, denn wir verfolgen bei abendblatt.de und morgenpost.de eine Freemium-Strategie», sagte Jochen Herrlich, General Manager Online, zu 20 Minuten Online. «Das bedeutet, dass wir unsere bisherige Business-Strategie (Werbung) nicht aufgeben, sondern sie um bezahlte Dienste erweitern. Beispielsweise ist unser crossmediales Branchenbuch ein überaus erfolgreiches Werbeprodukt, das bereits von zehn weiteren Zeitungen lizenziert wurde.»
Herrlich räumte ein, dass gewiefte User hierdurch derzeit die Bezahlschranke umschiffen können. Aber die meisten Leser und User von abendblatt.de und morgenpost.de surften über die Seite und wollten die Berichte direkt lesen können. «Unser Ziel ist es, den Stamm unserer treuen Leser weiter auszubauen. Ein User, der über Google kommt, ist nicht sofort ein treuer User. Daher möchten wir diesen Usern unsere Inhalte anbieten. Wir glauben, dass User, die bei uns auch freie Artikel finden und sich von unserer redaktionellen Kompetenz überzeugen können, eher als Kunden für unseren kostenpflichtigen Online-Zugang gewonnen werden können.» Wer zahle, erhalte echten Mehrwert: So beinhaltet das Abendblatt mit der Einführung des Bezahldienstes ein PDF-Archiv aller Druck-Zeitungsseiten seit 1948. Diesen Mehrwert werde man 2010 mit neuen, nützlichen Lokalen Service-Tools erweitern.
«Mikrozahlungen pro Artikel, sind für uns zurzeit keine Option, weil sie nicht unserem Ziel entsprechen, treue User zu generieren. Wir sind davon überzeugt: ein Abonnent besucht die Website häufiger und nutzt sie auch intensiver als ein flüchtiger User, der nur einen Artikel lesen möchte», sagte Herrlich. Allerdings werde man die von Google angekündigte Erweiterung des First Click Free-Programms nutzen und den freien Zugang der User über Google News und Zugangs-Tools auf wenige Artikel pro Tag beschränken. Wann, wollte er nicht verraten.
Skeptische Schweizer Medienmacher
Von Schweizer Medienmachern erfuhr persoenlich.com in einer aktuellen Umfrage wenig über konkrete Paid-Content-Pläne. Befragte wie Polo Stäheli, CEO NZZ, Walter Bachmann, Leiter Multimediazentrum SF, und Peter Hogenkamp, Geschäftsführer Blogwerk AG, sahen überwiegend schlechte Chancen, Nachrichten kostenpflichtig zu machen. «Eine Veränderung ist bei spezifischen Themen, Kommentaren und Services wie Finanzdienstleistungen denkbar», sagte Stäheli. Hogenkamp sprach sich für sehr günstige Artikel aus: Eher ein Rappen als zehn - das sei die Devise.
Nur Andrea Masüger, Publizistischer Direktor Südostschweiz Medien, berichtete von konkreten Erfahrungen: «Auf suedostschweiz.ch sind nur die Tages-News frei zugänglich sowie die wichtigsten Meldungen der tagesaktuellen Frontseite, für den Rest muss bezahlt werden. Man hat uns damals ausgelacht, als wir für unsere Zeitungsinhalte auf dem Netz die Gebührenpflicht eingeführt haben. Die gegenwärtige Diskussion um die rückwirkende Einführung einer Kostenpflicht können wir deshalb gelassen nehmen.» Eine erste Barriere sei gesetzt. Derzeit überlege eine interne Arbeitsgruppe, wie das Bezahl-Modell verfeinert werden kann und wie es vor allem für die Kunden praktischer werden könnte. Im Test von 20 Minuten Online liess sich das System von suedostschweiz.ch weder über Google News noch mit Hilfe des erwähnten Firefox-Add-ons austricksen.
Für Marc Walder, CEO Ringier Schweiz, liegt der Fokus eher auf mobilen Nutzern von Nachrichtenangeboten: «Sie sind eher und schneller bereit, Geld für Inhalte zu bezahlen.» Blick.ch werde im kommenden Jahr mit iPhone-Applikationen auf den Markt kommen, die etwas kosten. Ob es sich dabei um Nachrichten-Apps oder solche, die Zusatzfunktionen bieten, handeln wird, verriet Walder allerdings nicht.