GastronomieWarum diese Spitzenköchin in ein Bündner 50-Seelen-Dorf zog
Mit Anfang 20 kochte Rebecca Clopath in der Schweizer Junioren-Nationalmannschaft – doch anstatt in die Welt hinaus zog sie in ihr Bündner Heimatdorf. Dort will die Spitzenköchin zeigen, wie ein bewusster Umgang mit Nahrung aussehen kann.
- von
- Sebastian Sele

Die Spitzenköchin Rebecca Clopath zog zurück in ihr Heimatdorf, um ihren Traum zu verfolgen: Eine ganzheitliche Küche.
Darum gehts
Rebecca Clopath kochte in der Junioren-Nationalmannschaft, bevor sie in ihr Bündner Heimatdorf zurückkehrte.
Bei sogenannten Esswahrnehmungen möchte sie dort Besucher zum Nachdenken anregen: Welche Geschichten und Erfahrungen stecken hinter einer Zutat? Für Clopath ist Gastronomie mehr als nur eine Ernährung.
Beim aktuellen Menü landen daher auch ungewohnte Gerichte auf den Tellern: «Rande in Ton», «kandiertes Moos» oder «Quark mit Erdmehl».
Rund 99,5 Prozent der von Clopath verwendeten Produkte stammen laut Eigenangaben aus der Schweiz. Sie möchte zeigen, welche Möglichkeiten die Region bietet.
Das Bergdorf Lohn liegt abseits aller Hauptstrassen. Rund 50 Einwohnerinnen und Einwohner leben hier, in der höchstgelegenen Gemeinde der Region Schams. Eine davon: eine Spitzenköchin.
Rebecca Clopath ist in Lohn aufgewachsen. Obwohl sie mit 16 Jahren aus dem Dorf wegzog, kehrte die heute 33-Jährige rund ein Jahrzehnt später wieder zurück. Dazwischen lagen Stationen wie ein Sprachjahr in Lugano, die Köchinnen-Lehre in Bern, eine Zeit in der Junioren-Nationalmannschaft der Köche sowie die Ausbildung zur Chefköchin und zur Bäuerin mit Fachausweis.
Landwirtschaft und Gastronomie verbinden
Warum zieht eine Kochweltmeisterin in ein Bergdorf? «Mit Anfang 20 dachte ich: Diese Karriere ist der Weg», sagt Clopath auf ihrem Sitzplatz in Lohn. «Doch das war mehr der jugendliche Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen.» Zwar habe sie dank diesem viel gelernt, etwa mit Druck umzugehen – aber eben auch, dass sich ihre Vorstellung und Philosophie vom Kochen woanders stimmiger umsetzen lassen: im bündnerischen Lohn.
Denn Clopath geht es nicht nur um das Gericht, das auf dem Teller landet, sondern auch um alles, was hinter diesem steckt: wie die Zutaten produziert werden, woher das Geschirr, die Textilien und die Möbel stammen – und was das Essen über den Menschen und die Umwelt erzählt. Die Chefköchin verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und zu diesem gehört auch die Landwirtschaft: Ihre Familie betreibt nebenan selbst einen Bauernhof mit 40 Tieren sowie einem Garten. Rund 85 Prozent der verwendeten Produkte stammen laut Eigenangaben aus Graubünden, 0,5 Prozent aus dem Ausland und der Rest aus der Schweiz.

Rebecca Clopath und ihr Team möchten mit sogenannten Esswahrnehmungen zum Nachdenken anregen: Welche Bedeutung hat das Essen?
Essen zum Nachdenken
Das Ergebnis ihres Ansatzes nennt Clopath «Esswahrnehmung». Im Winter, im Frühling und im Herbst treffen sich rund dreimal pro Woche bis zu 18 Gäste im Erdgeschoss ihres Elternhauses, um sich einen Nachmittag lang durch die Alpen zu essen – «es ist wie eine Theatervorstellung». Und jede dieser Vorstellungen hat ein Thema. Aktuell heisst dieses «Texturen der Alpen». Auf dem Menü steht dabei auch Unerwartetes wie «Rande in Ton», «kandiertes Moos» oder «Quark mit Erdmehl». Wie das Theater will auch Clopath zum Nachdenken anregen.
Bei einer Zutat gelingt das auch ganz ohne ihr Zutun: Fleisch. «Viele finden unverständlich, dass ich Fleisch verwende», sagt Clopath. «Wie kann das nachhaltig sein?» Doch sie argumentiert: Tiere gehören hier oben zur Kultur und auch zum Ökosystem. Wer Wiesen haben wolle, die nicht wucherten, sei auf sie angewiesen. Auch das Fleisch setzt sie dabei sehr bewusst ein. 100 Gramm auf neun Gänge müssen ausreichen, darunter auch die Leber, die Zunge und das Blut. «So ist es für mich stimmig», sagt Clopath. Das aktuelle Menü ist komplett vegetarisch.

Rebecca Clopath nutzt vor allem lokale Zutaten. Sie möchte die Möglichkeiten der Region zeigen.
Nötiger Paradigmenwechsel
Ist der Weg, den Rebecca Clopath im kleinen Lohn geht, eine mögliche Lösung für die grossen Fragen der Ernährung? «Das muss jeder selbst herausfinden», sagt die Spitzenköchin. Trotzdem wünscht sich auch sie einen Paradigmenwechsel: Um die Probleme der Ernährung anzugehen, müsse die Gesellschaft wieder mehr lernen, Lebensmittel bewusst wahrzunehmen und als ganz individuelle Investition für das eigene Wohlbefinden zu sehen. Ob die Gesellschaft dazu bereit ist? «Das muss sich zeigen», sagt Clopath und verabschiedet sich in die Küche.

Bei den mehrstündigen Esswahrnehmungen landet auch Ungewohntes auf den Tellern. Aktuell beinhaltet das Menü unter anderem «kandiertes Moos» und «Quark mit Erdmehl».
Wie bewusst ernährst du dich?
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.