Interview«Warum ich Goldman Sachs verlassen habe»
Als der Londoner Goldman-Sachs-Direktor Greg Smith im März in einem Zeitungsartikel auspackte, schlug das in der Wall Street wie eine Bombe ein. Jetzt hat er mit einem Buch nachgelegt.
- von
- Christina Rexrode ,
- AP

Greg Smith: «Es wurde einfach ein perverses Anreizsystem geschaffen».
Greg Smith beschuldigte Goldman Sachs, ihre Kunden regelmässig zu betrügen und unerbittlich nach Profit zu streben - auf Kosten der Moral. Jetzt legte er sein Buch «Why I left Goldman Sachs» (Warum ich Goldman Sachs verlassen habe) vor und gab der Nachrichtenagentur AP exklusiv ein Interview dazu. Smith, 33, gab tiefe Einblicke in das Innenleben einer Bank, die nach einem Betrugsvorwurf der Börsenaufsicht 550 Millionen Dollar Strafe zahlte. Der Vorwurf lautete, Goldman habe Kunden Investments verkauft und dabei auf deren Scheitern gewettet. dapd dokumentiert das Interview in Auszügen:
AP: Am 14. März um 7.00 Uhr ging ihr Skandalartikel online und ihre Tätigkeit für Goldman Sachs in London endete. Wie lief das ab?
Ich bin um 6.00 Uhr aufgestanden und habe eine E-Mail an einige Leute geschrieben, in der ich in sehr persönlichen Worten begründet habe, warum ich aufhöre: Ich habe dargelegt, was meiner Meinung nach in dem Laden schiefläuft - der offenkundige Betrug an den Kunden.
Wie reagierte die Bank?
Mein Dienst-BlackBerry ging noch drei Stunden und ich erhielt E-Mails von Kunden, die schrieben: «Wir stimmen voll mit ihnen überein, wir trauen Goldman Sachs nicht.» Auch Goldman-Mitarbeiter schrieben E-Mails, in denen sie mich unterstützten. Goldman schrieb formal, dass sie bedauern von meiner Kündigung zu hören, und dass sie «die Bedenken öffentlich ausräumen wollten».
Die Bank hat alle ihre Anschuldigungen der Kundenabzocke zurückgewiesen.
Was mich am meisten enttäuscht ist, dass das Management leugnet, dass ein Problem besteht. Warum wird stattdessen nicht versucht, das Vertrauen wieder herzustellen? Kunden sagen, sie trauen dir nicht mehr. Es gab eine Anklage der Börsenaufsicht wegen Betrugs, die mit einer halben Milliarde Dollar beigelegt wurde. Ich bin kein einsamer Rufer, der denkt, es gab ein Problem, den Wechsel von einem Kundenvertauens-Modell (das beste für den Kunden zu tun) zu einem Nutze-den-Kunden-um-Vermögen-abzuziehen-Modell. Das Problem sehen viele Kollegen und die Öffentlichkeit, wie sich in Anklagen der Börsenaufsicht, Anhörungen vor dem Kongress und offenen Misstrauensbekundungen von Kunden zeigt.
Waren Sie nur verärgert? Haben Sie vielleicht nicht den Bonus oder die Beförderung bekommen, die Sie wollten?
Ich war ganz gut unterwegs in meiner Karriere bei Goldman Sachs. Beim Bonus sah es gut aus, mir wurde gesagt, ich sei zehn Prozent besser als meine Kollegen. Ich bin wettbewerbsorientiert und mein Ziel war es, befördert zu werden. Mehrere Leute haben mir gesagt, in zwei Jahren sei eine Beförderung vorgesehen. Und ich habe sehr gut verdient und hatte ein sehr angenehmes Leben.
Seit ihrem Sommerpraktikum im Jahr 2000 waren sie fast zwölf Jahre bei Goldman. Hätten sie nicht verschiedene Male etwas sagen müssen, wenn ihres Erachtens etwas moralisch schieflief?
Ich fällte tatsächlich die Gewissensentscheidung, den Kunden keine toxischen Deals zu verkaufen. Ich hielt es nicht für das Richtige. Aber ich sah auch, dass wenn das Kundenvertrauen zerstört wird, man keine lange Karriere haben wird. Das soll nicht heissen, ich sei nicht Teil des Systems gewesen, das unethische Dinge tat.
Aber ist es nicht Ziel jeder kapitalistischen Firma, Geld zu machen?
Im Kapitalismus sollte jeder hart konkurrieren und Geld verdienen in einem Umfeld, das von Wettbewerb und Fairplay geprägt ist. Derzeit ist das System gegen jeden gerichtet zugunsten der Banken.
Was wollen Sie mit dem Buch erreichen?
Die Leute wissen zwar von diesem enormen Konflikt und dass zwar nicht notwendigerweise illegale, aber unmoralische Dinge getan werden. Aber keiner weiss genau, wo das Problem liegt. Nach der Lektüre meines Buches können die Leute sagen: «Jetzt kann ich informierter mitreden über die Interessenkonflikte, und ich kann mich bei meinen Abgeordneten einsetzen oder mehr darüber diskutieren.» Wenn die Menschen nicht über die Dinge unterrichtet werden, sind sie machtlos.
Die Banken werden argumentieren, etwaige Verfehlungen gingen auf wenige schlechte Äpfel zurück und die seien jetzt weg.
Das ist keine Verschwörung von fünf Leuten in einem Hinterzimmer, die die Zerstörung der Welt planen. Es ist viel langweiliger. Es wurde einfach ein perverses Anreizsystem geschaffen. Wenn es einem Berater gelingt, einem Kunden eine Million zu viel zu berechnen, sagen die Führungskräfte: «Super Job, wir haben gerade eine Extra-Million aus diesem Pensionsfonds rausgeholt.»
Warum sollte man sich für die Wall Street interessieren?
Man hört oft, an der Wall Street würden bloss reiche Leute mit dem Geld anderer reicher Leute zocken. Ich will aber, dass die Menschen verstehen, dass es zum Schluss alle trifft, etwa wenn der Steuerzahler die Pleitebanken retten muss.