US-WahlenWas «echte» Hockey Moms von Palin halten
Sarah Palin gilt als der Inbegriff einer Hockey Mom. Die echten Hockey-Mütter distanzieren sich aber von ihr: Sie sind lieber «Hockey Mamas for Obama», wie 20 Minuten Online feststellen konnte.
- von
- Simone Schelk ,
- Rockville
Carol wusste gar nicht, dass sie eine Hockey Mom ist. Bis Sarah Palin es gesagt hat. Seither gehört die 53-Jährige zu der Gruppe von Müttern, die in den USA eine noch nie da gewesene Aufmerksamkeit erhalten.
Wie es sich für eine Hockey-Mutter gehört, fährt Carol ihre beiden Söhne zum Hockey-Training und zu den Spielen, verbringt Stunden im Auto, um dann in der Arena in Rockville im Bundesstaat Maryland ihren Söhnen zuzusehen, wie sie dem Puck auf dem Eis nachjagen, bevor das kleine Familien-Unternehmen mit den riesigen Sporttaschen nach Hause zurückfährt. Aber all das mache sie, weil es ihr Spass macht, erklärt Carol. Und weil sie ihre Kinder bei deren Hobbys unterstützen möchte. Ob sie deshalb eine typische Hockey Mom sei? «Ich bin vollkommen normal», sagt sie.
Synonym für Hausfrau
Allerdings sind bereits normale Hockey Moms laut Sarah Palin seltsame Wesen. Von Pitbulls unterscheide sie lediglich der Lippenstift, sagte die republikanische Vize-Kandidatin in ihrer Rede am Parteitag. Seither sind die Hockey Moms das Synonym geworden für Frauen, die sich für ihre Familien aufopfern nach dem Motto «Family First», die überwiegend damit beschäftigt sind, das Freizeitprogramm ihrer Kinder zu organisieren, sie in die Arenen zu kutschieren und wieder abzuholen, den Alltag um die Hockey-Termine zu jonglieren – all das, weil sie Hausfrauen sind und sonst nichts anderes zu tun haben.
Carol wehrt sich gegen dieses Klischee. Sie habe immer Vollzeit gearbeitet und Hockey als Hobby für sich und ihre Kinder gesehen. Als diese noch kleiner waren, wurde das Training frühmorgens um 7 Uhr angesetzt. «Das war dann die Aufgabe von meinem Mann, von 'Hockey Dad'», scherzt sie. Sie sieht hinter dem Wirbel um die Hockey Moms eine Medienkampagne – und Palin mittendrin. «Ich komme seit sieben Jahren in diese Arena. Und ich habe sieben Jahre lang nicht gewusst, dass ich deshalb eine Hockey Mom bin», sagt sie.
Keine Hockey-Hochburg
Palin selbst sieht sich als «durchschnittliche» Hockey Mom. Ihr ältester Sohn Track hat während der High School Hockey gespielt – wie rund 350 000 andere amerikanische Jugendliche. Wie viele Hockey Moms sich deshalb mit der Kandidatin für das Vize-Präsidentenamt identifizieren, weiss man nicht. In und um Washington können das nicht viele sein. Zum einen, weil Washington keine Hockey-Hochburg ist. Zum anderen, weil es nicht republikanisch geprägt ist. Eine Hockey Mom hat einen Auto-Aufkleber kreiert: «Hockey Mama for Obama». Die ersten 50 hat sie an Freunde verteilt, der nächste Stapel ist bestellt. «Ich wollte, dass die Leute wissen, dass nicht alle Hockey Moms automatisch mit Gouverneurin Palin übereinstimmen», sagte sie in einem Interview.
Dass Sarah Palin als Vize-Kandidatin auserkoren wurde, hat dennoch viel mit ihrem Dasein als Hockey Mom zu tun. Sie sollte eine Mutter aus dem Volk repräsentieren, mit der sich nicht nur «Joe Sixpack», sondern eben auch die Hockey-Mutter von nebenan identifizieren kann. Die Entscheidung fiel aus taktischen Gründen, nicht aus sachlichen. Entsprechend umstritten ist sie in den USA. «Wollen wir Politiker, die wie das Volk sind, oder wollen wir welche, die das Volk verstehen?», ist hier die Frage.
Von Palin peinlich berührt
In Maryland, bei den «normalen» Hockey Moms wie Carol, kommt Sarah Palin eher schlecht an. Sie fühlt sich durch den Vergleich mit Palin ziemlich peinlich berührt. Carol weiss zwar noch nicht endgültig, wem sie in zwei Wochen ihre Stimme geben wird. Aber ihre Freundin Jackie, 47, ist sich bereits sicher, dass sie Obama wählen wird. Die beiden haben sich während der Hockey-Spiele ihrer Kinder kennen gelernt und verfolgen jedes Spiel zusammen. Sie sitzen hinter der Glaswand ausserhalb der Eisbahn, trinken Kaffee und unterhalten sich. Dabei lassen sie die Spieler aber kaum aus den Augen.
Trotzdem wollen sie sich nicht auf die Zuschauerbänke direkt in der Halle setzen. Zum einen, weil es dort viel zu kalt sei. «Sonst müsste ich ja das ganze Jahr Thermo-Unterwäsche tragen», meint Jackie. Zum anderen könnten sie nicht so ruhig bleiben, während ihre Kinder in die Bande krachen, den Puck an den Helm bekommen oder auf dem Eis stürzen. Diejenigen, die sich in die eisige Halle gesetzt haben, verfolgen das Testspiel der Bezirksliga im Montgomery County ganz ruhig – so ruhig man eben sein Team anfeuern kann.
Familien sitzen gemeinsam mit einer Decke auf den Beinen und Snacks darüber, viele Paare und Nachwuchsspieler schauen ebenfalls zu. Kein Unterschied zu unseren Fussball- oder Handball-Spielen. Abgesehen davon, dass in der grossen Halle American Football übertragen und Starbucks-Kaffee ausgeschenkt wird. Im District of Columbia, Maryland und Virginia spielen etwa 9200 Jugendliche Hockey. Entsprechend viele Hockey Moms gibt es – und entsprechend viele Stimmen könnten es für Sarah Palin werden. Wenn die Hockey Moms eben so wären wie sie. Das sind sie aber nicht. Zumindest nicht alle.