Gewaltige zweite Welle: Was hat die apokalyptischen Zustände in Manaus ausgelöst?

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Gewaltige zweite WelleWas hat die apokalyptischen Zustände in Manaus ausgelöst?

Das Coronavirus Sars-CoV-2 wütet erneut in der brasilianischen Stadt Manaus – trotz vermuteter Herdenimmunität in der Bevölkerung. Mitverantwortlich an den apokalyptischen Zuständen scheint die Virusvariante P.1 zu sein.

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An den Stränden von Manaus, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, herrscht gähnende Leere. 

An den Stränden von Manaus, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas, herrscht gähnende Leere.

imago images/Fotoarena
Die Friedhöfe füllen sich dagegen zunehmend. Denn das Coronavirus wütet erneut in der Metropole. In den ersten drei Wochen des Jahres 2021 sind im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 bereits über 1900 Menschen gestorben. (Im Bild: Friedhof in Manaus)

Die Friedhöfe füllen sich dagegen zunehmend. Denn das Coronavirus wütet erneut in der Metropole. In den ersten drei Wochen des Jahres 2021 sind im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 bereits über 1900 Menschen gestorben. (Im Bild: Friedhof in Manaus)

AFP
Nach Angaben des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat ist das Gesundheitssystem in Manaus komplett zusammengebrochen.

Nach Angaben des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat ist das Gesundheitssystem in Manaus komplett zusammengebrochen.

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Darum gehts

  • Der Blick ins brasilianische Manaus verheisst nichts Gutes.

  • In den ersten drei Januarwochen 2021 starben dort über 1900 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19.

  • Das Gesundheitssystem der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas ist zusammengebrochen.

  • Einer Theorie zufolge trägt die brasilianische Virusvariante P.1 eine Mitschuld.

Wer Sars-CoV-2 immer noch verharmlost oder gar verleugnet und die Massnahmen für masslos übertrieben erachtet, der sollte einen Blick ins brasilianische Manaus werfen. Jener Stadt, in der das Coronavirus schon während der ersten Welle im April 2020 so heftig gewütet hatte, dass für die Toten Massengräber ausgehoben werden mussten und das Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenze kam. Gut neun Monate später ist dieses laut dem Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat komplett zusammengebrochen.

Entsprechend muten die aus der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas gemeldeten Nachrichten apokalyptisch an: Die Intensivstationen sind überfüllt, die Sauerstoffvorräte am Ende. Nachschub musste bereits aus dem benachbarten Venezuela importiert werden. Verzweifelte Angehörige versuchen, privat Sauerstoffflaschen für Erkrankte zu organisieren, während Ärzte und Pfleger die Beatmungsmaschinen von Hand zu betätigen versuchen. Mehr als 1900 Tote verzeichnet die Stadt allein in den ersten drei Wochen des Jahres 2021.

Zu frühe Lockerungen und Herunterspielen des Virus

Offen ist, wie es dazu kommen konnte. Schliesslich gingen Experten aufgrund der vielen Infizierten während der ersten Pandemie-Welle davon aus, dass der Grossteil der Einwohner Manaus’ immun gegen das Coronavirus ist. In einer im Fachjournal «Science» publizierten Studie kamen Forschende zu dem Schluss, dass bereits im Oktober 2020 rund 76 Prozent der Menschen dort sich mit Sars-CoV-2 angesteckt hatten, womit die Metropole nach offizieller Deutung die Herdenimmunität erreicht haben sollte.

Wie konnte es also zu einer solch massiven zweiten Welle kommen? Neben zu frühen Lockerungen in der zweiten Dezemberhälfte und dem ständigen Herunterspielen des Virus durch den brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro sowie dessen ablehnender Haltung gegenüber Impfstoffen, kommen dafür laut Experten vor allem zwei Erklärungsansätze.

Statistische Verzerrung als «Bestfall»

So könnten etwa die der «Science»-Studie zugrundeliegenden Berechnungen falsch gewesen sein oder die daraus gezogene Schlussfolgerung. Tatsächlich gilt die Untersuchung in Fachkreisen mittlerweile als umstritten. Der Grund: Die Daten, mithilfe derer die Autoren die die Zahl der Immunen in Manaus berechneten, stammten von Blutspendern, denen für ihre Teilnahme ein kostenloser Test auf Covid-19-Antikörper versprochen wurde.

Das könnte zu einer statistischen Verzerrung geführt haben, da vor allem jene Personen mitgemacht haben, die annahmen, bereits mit Sars-CoV-2 infiziert gewesen zu sein. Es wäre, wie das Wissenschaftsportal Spektrum.de schreibt, «noch der Bestfall.»

«Katastrophale Nachrichten»

Denn alternativ könnte das erneute Aufflammen der Pandemie in der Region dem Virus selbst geschuldet sein, genauer gesagt der in Manaus aufgetretenen Variante P.1. Diese weist nach bisherigem Kenntnisstand insgesamt 17 Mutationen auf. Insbesondere die Mutation E484K könnte – ebenso wie die südafrikanische Variante – dazu führen, dass diese Sars-CoV-2-Variante selbst jene noch ein zweites Mal befallen, welche das Virus schon einmal in sich trugen oder durch einen Impfstoff geschützt sein sollten.

Für den weltweiten Kampf gegen die Pandemie, bei dem mühsam auch mit Hilfe von Impfstoffen eine Immunität aufgebaut wird, wären das katastrophale Nachrichten, urteilt Spektrum.de-Autor Christian Heinrich. Er betont aber auch, dass all dies bloss «erste Hinweise» sind. Und dass es auch sein könnte, dass es in den Fällen, «bei denen es zu einer zweiten Infektion kam, nicht ein veränderter Erreger, sondern das Immunsystem der Patientinnen und Patienten die Ursache ist.»

Mutanten-Ausbreitung unbedingt vermeiden

Unklar ist auch, ob die Impfstoffe gegen die brasilianische Variante wirken. Während Moderna und Pfizer/Biontech schon Auskunft über die Wirksamkeit ihrer Präparate gegenüber der britischen und südafrikanischen Mutante geben konnten, laufen die Untersuchungen zu P.1 noch. Einer noch nicht von unbeteiligten Fachleuten geprüften Studie zufolge scheint der Impfschutz von Pfizer/Biontechs Comirnaty nicht nur bei der südafrikanischen, sondern auch bei der brasilianischen Variante tatsächlich abgeschwächt zu sein.

Weitere Ergebnisse zur brasilianischen Virus-Variante werden für die kommenden Wochen erwartet. Allerdings werten einige Experten den Umstand, dass sich Sars-CoV-2 mehrfach am entscheidenden Spike-Protein verändert hat, als Hinweis darauf, dass sich das Virus schnell auf Impfstoffe einstellen könnte.

Entsprechend nachdrücklich mahnen Fachleute wie Uwe Janssen vom St.-Antonius-Hospital im deutschen Eschweiler Regierungen, Behörden und Bevölkerung, alles zu unternehmen, um die Zahl der Infektionen so klein wie möglich zu halten. Denn «je mehr Leute infiziert sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Mutationen entwickeln oder die ansteckenderen Mutationen in die Gesellschaft kommen», erklärte der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin in der ARD-Talkshow «Anne Will». «Dann haben wir nämlich die gefürchtete dritte Welle.»

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Hier findest du Hilfe:

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BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Tel. 147

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