Grosse Zürcher Studie: Was jugendliche Sextäter treibt? Die Pubertät!

Aktualisiert

Grosse Zürcher StudieWas jugendliche Sextäter treibt? Die Pubertät!

Jugendliche Sexualstraftäter sind meist nicht sexuell krankhaft veranlagt. Viele Übergriffe sind im Zusammenhang mit ihrer Pubertät zu sehen. Einmal verurteilt, werden die meisten nicht rückfällig.

Lukas Mäder
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Lukas Mäder
Die Opfer von sexuellen Übergriffen Jugendlicher sind meist jünger als die Täter und häufig mit ihnen bekannt.

Die Opfer von sexuellen Übergriffen Jugendlicher sind meist jünger als die Täter und häufig mit ihnen bekannt.

Eine Zürcher Studie sorgte in den letzten Tagen für Aufsehen: 14 Jugendliche sind für über 700 sexuelle Übergriffe der letzten Jahre verantwortlich. Es entstand das Bild von jugendlichen Mehrfachtätern, die immer wieder rückfällig werden. Das stimmt nicht, wie ein Blick in die Studie zeigt. In den meisten Fällen sind die Übergriffe nicht krankhaft begründet, sondern auf ein pubertäres Fehlverhalten zurückzuführen. Denn die Täter sind relativ jung.

Zwei Drittel der Verurteilten waren zum Zeitpunkt der Tat unter 15 Jahre alt. Sie befinden sich mitten in der Pubertät und müssen erst lernen, mit ihren neuen Gefühlen umzugehen, wie Cornelia Bessler, Leiterin der Kinder- und Jugendforensik Zürich und Mitautorin der Studie (siehe Box), sagt. «Das grosse Angebot von sexuellen Darstellungen im Internet schafft falsche Vorbilder und überfordert die Jugendlichen», sagt sie. Mit 15 bis 16 Jahren nimmt die Zahl der Sexualdelikte wieder ab, da die Kompetenz im sexuellen Umgang wächst. Bessler befürwortet deshalb eine stärkere Aufklärung in der Schule.

Oft auch anderweitig straffällig

Die Mehrheit der verurteilten Jugendlichen stammt aus einer niedrigen sozialen Schicht. Deswegen sei ihre Freizeit weniger strukturiert, was insgesamt vermehrt zu Straftaten führt, wie Bessler sagt. So kam knapp die Hälfte der in der Studie untersuchten Jugendlichen auch anderweitig mit dem Gesetz in den Konflikt. Dies lasse darauf schliessen, dass nicht nur sexuelle Motive zu den Sexualdelikten führten, heisst es in der Studie. Vielmehr spiele dabei auch ganz allgemein grenzüberschreitendes Verhalten eine Rolle. Die meisten Täter seien nicht sexuell krankhaft veranlagt. Ein Indiz dafür ist auch, dass gut 67 Prozent der 223 Jugendlichen nur ein bis zwei Taten verübten.

Hingegen sind 14 Täter für über die Hälfte der insgesamt 1393 Übergriffe verantwortlich. Diese Jugendlichen begingen die Taten während jeweils rund zwei Jahren. Durchschnittlich waren sie erst 13 Jahre alt bei der ersten Tat. Die Opfer waren jünger und alle bekannt oder verwandt mit dem Täter. Wie Bessler sagt, kam es in diesen Fällen nur selten zu Gewalt, sonst wären die Übergriffe schnell aufgefallen. Meistens sei ein Machtgefälle vorhanden gewesen, oder die Opfer hätten wegen ihres kindlichen Alters die Taten noch gar nicht einordnen können. Allgemein ist es laut Studie der Normalfall, dass die Jugendlichen keine körperliche Gewalt anwenden. Neben Abhängigkeit oder einer Altersdifferenz spielten bei den Übergriffen oft Verführungen mit Geld oder Versprechen eine Rolle.

«Schuss vor den Bug»

Wie weit Strafen alleine bei jugendlichen Sexualstraftätern wirksam sind, ist umstritten. Dennoch glaubt Bessler, dass ein Strafverfahren wie ein Schuss vor den Bug wirken kann. Entgegen dem Vorurteil werden die Jugendlichen nur äussert selten rückfällig. Für Bessler bewirkt ein Strafverfahren, dass das Bewusstsein für das eigene Verhalten geschärft wird. «Werden von aussen Grenzen gesetzt, können sich die Jugendlichen besser orientieren.»

Für die Studienautoren gibt es kein typisches Täterprofil. Bessler fordert deshalb bei Übergriffen eine adäquate Intervention, welche die spezifische Situation inklusive dem sozialen Umfeld berücksichtigt. Da viele Jugendliche sexuell relativ unbedarft agieren und die geltenden Gesetze schlecht kennen, könnte auch Prävention in diesem Bereich wirksam sein. Eine erhöhte Rückfallgefahr besteht laut Studie bei Jugendlichen, die schwere Delikte gegen unbekannte Opfer begehen. Bei diesen sollte deshalb immer ein Gutachten angeordnet werden.

Die Zürcher Studie

Die Studie der Kinder- und Jugendforensik Zürich hat alle Urteile gegen Minderjährige im Kanton Zürich zwischen 2000 und 2008 untersucht, die wegen Delikten gegen die sexuelle Integrität gefällt wurden. Sie umfasst 223 männliche Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren. 22 Fälle konnten nicht berücksichtigt werden, weil die Akten nicht zugänglich waren; zusätzliche 9 Fälle mit weiblichen Täterinnen wurden wegen der kleinen Zahl aus statistischen Gründen ausgeschlossen.

Die meisten Verurteilungen erfolgten aufgrund sexueller Gewaltdelikte (Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung), sexuellen Handlungen mit Kindern oder beidem. Nicht berücksichtigt wurden Delikte wegen Pornographie. Die 223 verurteilten Jugendlichen begingen 1393 Übergriffe an insgesamt 381 Opfern. 12,6 Prozent der Täter begingen Delikte ohne Körperkontakt wie verbale sexuelle Belästigung oder Exhibitionismus. Bei 24,7 Prozent fanden Berührungen über den Kleidern statt. Die restlichen 62,8 Prozent der Täter begingen eigentliche sexuelle Handlungen, wovon gut die Hälfte ihr Opfer genital oder anal penetrierten oder dies versuchten.

Die Studie Sexuelle Straftaten von Minderjährigen der beiden Autoren Cornelia Bessler und Marcel Aebi erschien am 20. Februar 2012 in der Schweizerische Zeitschrift für Kriminologie.

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