Terror in BerlinWas über den gesuchten Anis Amri bekannt ist
Die deutsche Polizei sucht bundesweit nach einem 24-jährigen Tunesier. Er ist der dritte Tatverdächtige. Das wirft Fragen zum Geschehen nach dem Anschlag auf.
- von
- mlr
Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt bei der Berliner Gedächtniskirche läuft die Suche nach dem Täter auf Hochtouren. Die Chancen auf einen baldigen Erfolg stünden gut, sagte der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt dem Sender rbb am Mittwochmorgen. Mehr als 500 Hinweise aus der Bevölkerung waren bei der Polizei eingegangen.
Am Abend hat die deutsche Generalbundesanwaltschaft eine öffentliche Fahndung herausgegeben und eine Belohnung von 100'000 Euro ausgesetzt. Gesucht wird der 24-jährige Tunesier Anis Amri. Unter dem Fahrersitz des Tatfahrzeugs fanden die Ermittler demnach eine Duldungsbescheinigung mit dem Namen des 1992 in Tataouine geborenen Verdächtigen. Gemäss der offiziellen Beschreibung ist Amri 1.78 Meter gross und zirka 75 Kilogramm schwer, hat schwarze Haare und braune Augen. Die Behörden warnen, er könnte bewaffnet sein.
Der Verdächtige soll auch unter zwei Aliasnamen bekannt sein. Laut der Mainzer «Allgemeinen Zeitung» lautet der eine Ahmed A. Die Dokumente seien im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden. Sicherheitskreise gehen von «unmittelbar bevorstehenden Massnahmen» in Nordrhein-Westfalen aus, schreibt die deutsche Nachrichtenagentur DPA.
Verdächtiger war der Polizei laut Medienberichten bekannt
Die Polizei soll Anis Amri bereits im August festgenommen haben. Die Behörden hätten den Mann dann aber laufen lassen. Das berichtet «Focus». Offiziell gibt es bisher keine Bestätigung dieser Angaben.
Er sei damals in Friedrichshafen festgenommen worden – mit gefälschten italienischen Ausweispapieren. Die «Rheinische Post» berichtet, er sei der Polizei bekannt. Im Juli 2016 habe er eine Vorstrafe wegen Körperverletzung erhalten. Eine Anklage sei damals aber nicht möglich gewesen, da der Mann untertauchte. Zudem habe der Mann bis zu zwölf Aliasnamen benutzt. Die Redaktion beruft sich auf Informationen aus Sicherheitskreisen. Er sei in ein grosses Islamisten-Netzwerk eingebettet und werde als «brandgefährlich» eingestuft.
Die Polizei habe sogar bereits die Telekommunikation des Verdächtigen überwacht, berichtet die «Süddeutsche Zeitung». Er soll sich bei einem Polizei-Informanten erkundigt haben, ob dieser Schusswaffen besorgen könnte. Ein Ermittler sagte der Zeitung, ihm sei unklar, warum Amri aus dem Blickfeld der Polizei verschwinden konnte.
Täter ist womöglich verletzt
Gemäss RBB gehen die Beamten davon aus, dass der mutmassliche Attentäter verletzt ist. Die Ermittler stellten im Fahrerhaus des LKW DNA-Spuren sicher. Sie vermuten, dass es im Fahrzeug einen Kampf zwischen dem getöteten polnischen Lastwagenfahrer und dem Flüchtigen gegeben hat. Der Pole hat laut «Spiegel» bis zum Attentat noch gelebt. Er starb demnach erst nach dem Eintreffen der Feuerwehr an einer Schussverletzung.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Täter verletzt ist. Deshalb sucht die Polizei sämtliche Spitäler in Berlin und dem Bundesland Brandenburg ab. Das ARD-Magazin «Report München» berichtete zudem, die Ermittler verfolgten eine neue Spur in salafistische Kreise im Westen Deutschlands.
Erst am Dienstagabend war ein zunächst verdächtigter Pakistaner wieder freigelassen worden. Er war aufgrund einer Personenbeschreibung festgenommen worden, die ein Zeuge geliefert hatte. Dieser hatte den flüchtigen Attentäter nach der Todesfahrt über den Weihnachtsmarkt verfolgt, ihn dann aber aus den Augen verloren. Angesichts der Panik und der Menschenmassen, die rund um die Gedächtniskirche im Berliner Stadtteil Charlottenburg unterwegs waren, gelang es dem Täter vermutlich, unerkannt zu entkommen.
Auch die Festnahme eines zweiten Verdächtigen am frühen Dienstagmorgen stellte sich als haltlos heraus. Der Festgenommene war nicht der Täter und wurde gemäss der rbb-«Abendschau» wieder freigelassen.
«Die Polizei steht besonders unter Druck»
Der Terrorexperte Stephan Humer geht davon aus, dass die Festnahme einer falschen Person dem Chaos vor Ort geschuldet ist. «Der Zeuge, der der Person hinterherlief, hat sich offenbar geirrt und der Polizei die falsche Person genannt», sagte Humer zu 20 Minuten. Jetzt werde die Polizei alle vorhandenen Spuren sichern und daraus ihre Schlüsse ziehen. Das sei einerseits gut, weil man jetzt mehr als nur Augenzeugen nutzen kann, nämlich Spuren vor Ort.
Andererseits erlebe die Polizei aber auch eine entsprechende Drucksituation, die sich von Tag zu Tag steigere. «Das ist für alle Beteiligten sehr riskant, denn die Polizei steht nun unter besonderem Erfolgsdruck, und der Täter wird mit weiterem Zeitablauf kaum weniger gefährlich», ist Humer überzeugt.