Leben mit dem Terror«Weihnachten ist jetzt umso wichtiger»
Der Terroranschlag von Berlin nur wenige Tage vor Weihnachten schlägt vielen auf das Gemüt. Ein Notfallseelsorger sagt, wie man solche Ereignisse verarbeitet.
- von
- lüs
Herr Bühler, was raten Sie Menschen, denen Terroranschläge wie jener von Montag in Berlin auf die Stimmung drücken?
Es ist immer wichtig, mit jemandem darüber zu sprechen – über seine Ängste, Empfindungen und Befürchtungen. Weiter verarbeiten kann jeder Mensch nach seinen Möglichkeiten: spazieren gehen oder joggen, still werden oder jemanden besuchen. Religiöse Menschen können die Möglichkeiten des Meditierens, Betens und Singens nutzen. Ich zum Beispiel singe immer wieder gerne Lieder aus Taizé. Aber auch der Besuch eines Gottesdienstes, in dem ja der Opfer und der Betroffenen gedacht wird, kann eine Hilfe sein.
Ist es schlimmer für die Psyche der Menschen, wenn so etwas nur wenige Tage vor Weihnachten passiert?
Ich persönlich empfinde solche Anschläge in der Adventszeit heftiger – in dieser Zeit, in der man sich den Frieden wünscht, aber auch in dieser dämmrigen Zeit, wo viele zu Depressionen neigen. Weihnachten ist das Fest der Liebe. Nach solchen Ereignissen ist es umso wichtiger, Weihnachten zu feiern.
Wenn es – wie in diesem Jahr – eine ganze Reihe von Terroranschlägen gibt: Wird es für die Menschen einfacher, es zu verarbeiten, oder wird es immer schwieriger?
Wir gehen oft von der Vorstellung einer heilen Welt aus, die wir so sehr wünschen. Doch seit Menschengedenken gibt es Krieg und Terror. Wir müssen damit leben. Vielleicht können wir reagieren, indem wir vorsichtiger werden, sensibler für Fragen der Gerechtigkeit.
Man sagt immer wieder, die richtige Reaktion auf den Terror sei, einfach weiterzuleben wie zuvor. Stimmen Sie dem zu?
Die wilden Kämpfe um Vorrechte und Herrschaft – auch religiös verbrämt, bringen nichts. Einfach weiterleben heisst aber: sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, solidarisch Sorgen und Not miteinander tragen und den Armen um uns und in der weiten Welt helfen.
Sie haben langjährige Erfahrung als Notfallseelsorger – was würden Sie einem Menschen sagen, der das Attentat von Berlin miterlebt hat oder dort einen Freund oder Angehörigen verloren hat?
Wenn wir Betroffenen selber begegnen, gilt es zuerst zuzuhören, manchmal auch zu schweigen. Die Betroffenen sollen ihre Geschichte Schritt für Schritt erzählen und so Ordnung in die oft wirren Gedanken bringen können. Dann gilt es, miteinander Verarbeitungsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Sicher wird die Berliner Polizei auch Notfallseelsorge-, Kriseninterventions- und Care-Teams aufbieten. Bei uns können Sanität und Polizei solche Möglichkeiten vermitteln.

Paul Bühler ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft Notfallseelsorge Schweiz. Er ist katholischer Theologe und lebt in Biberist SO.