1 Milliarde EuroWem gehört der Nazi-Kunstschatz?
1500 Werke von Picasso bis Nolde: Die Kunstsammlung des Münchners Cornelius Gurlitt dürfte rund 1 Milliarde Euro wert sein. Und: Er darf die meisten Bilder wohl behalten.
- von
- kmo
Schier unfassbar ist der Fund, den deutsche Zollfahnder in der Münchner Wohnung des betagten Cornelius Gurlitt machten: 1500 Werke der Avantgarde von Picasso bis Nolde. Das einzig Illegale daran ist aber möglicherweise nur die Hinterziehung der Erbschaftssteuer.
Der Vater Gurlitts, Hildebrand, war einer der vier Kunsthändler Hitlers. Sie hatten den Auftrag, von den Nazis als «entartet» diffamierte Kunst im Ausland zu verkaufen oder einzutauschen. Sofern diese Bilder aus Museen und öffentlichen Sammlungen stammten, gehörten sie dem Staat und dürfen deshalb bis heute gehandelt werden.
Auf diesen Standpunkt stellt sich auch die Berner Galerie Kornfeld, die zuletzt im Jahr 1990 Werke aus Cornelius Gurlitts Besitz versteigerte. Meisterwerke, von denen in den Medien die Rede ist, dürften die paar Papierarbeiten nicht gewesen sein, denn sie brachten zusammen nicht einmal 40'000 Franken, wie Kornfeld mitteilt.
«Entartete» Kunst darf legal gehandelt werden
«So moralisch unhaltbar die Verfolgung ‹entarteter› Kunst auch gewesen ist, aus juristischer Sicht kann keine Restitution verlangt werden», schreibt der Rechtsexperte Carl-Heinz Heuer.
Juristisch legitimiert wurde sogar die Beschlagnahmung aus privaten Sammlungen, nämlich durch das Einziehungsgesetz von 1938. Nach Kriegsende hatten sich die Alliierten gegen die Aufhebung dieses Gesetze entschieden, um Käufern auf dem Kunstmarkt Rechtssicherheit zu geben.
Einzige Ausnahme: verfolgte jüdische Vorbesitzer
Schwieriger ist die Lage beim einstigen Besitz verfolgter jüdischer Sammler und Galeristen. Um Werke aus den Sammlungen etwa von Alfred Flechtheim oder Max Stern werden heute erbitterte Rechtsstreitereien geführt. Immer öfter wird die NS-Raubkunstkommission der deutschen Regierung zur Schlichtung angerufen.
Denn sind die Restitutionsfragen rechtlich nicht mehr eindeutig zu klären, rückt die moralische Dimension in den Vordergrund. Zu «fairen und gerechten» Lösungen beim Umgang mit NS-Raubkunst hatten sich viele Staaten, auch die Bundesrepublik, 1998 verpflichtet.
Zu einigen beschlagnahmten Gemälden aus dem Schwabinger Gurlitt-Fund gibt es Herkunftshinweise. So soll laut «Focus» ein Frauenbildnis von Matisse dem jüdischen Sammler Paul Rosenberg gehört haben. Eine Spitzweg-Zeichnung habe dem in Auschwitz ermordeten Leipziger Verleger Henri Hinrichsen gehört.
Kunsthandel wusste Bescheid
Während die deutsche Regierung bereits seit längerem über den vom Nachrichtenmagazin «Focus» publik gemachten Sensationsfund informiert ist, war man in Kreisen der Provenienzforscher weitgehend ahnungslos.
Offenbar aber wusste der diskrete Kunsthandel mehr. Denn Cornelius Gurlitt hatte nach Informationen des «Focus» bereits seit Jahren Avantgarde-Bilder in Auktionshäuser angeliefert. Noch nach der Beschlagnahmung der 1500 Bilder im Frühling 2011 habe er die Gouache-Arbeit «Löwenbändiger» von Max Beckmann im Herbst darauf in das Auktionshaus Lempertz gegeben.
Es war nach Angaben des Hauses das einzige Mal, dass der Gurlitt-Sohn ein Werk bei Lempertz angeboten habe. Die Experten waren aufmerksam und fanden heraus, dass es aus dem Nachlass des jüdischen Kunstsammlers Alfred Flechtheim stammte. Nach einer Einigung mit den Erben Flechtheims wurde der «Löwenbändiger» versteigert.
TV-Bericht der ARD:
(Quelle: YouTube/ARD Mittagsmagazin) (kmo/sda)