«Time-Out»: Wenn Aschenputtel das Stadion verlässt

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«Time-Out»Wenn Aschenputtel das Stadion verlässt

Cinderella hat die Ilfishalle verlassen. Langnaus Coach John Fust geht nach dem 1:4 gegen Zug trotzdem davon aus, dass die Märchenfigur nur für eine Kaffepause weg ist.

Klaus Zaugg
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Klaus Zaugg

Teams wie Langnau, Biel, Ambri oder die Lakers schaffen die Playoffs nur, wenn Cinderella im Stadion bleibt: Die Redewendung kommt aus dem nordamerikanischen Sport und will heissen: Es braucht Glück, damit ein Märchen wahr wird. Cinderella (im Deutschen Sprachgebrauch: Aschenputtel) ist die glückliche Märchenfigur, die durch Fügung des Schicksals schliesslich doch zur Märchenprinzessin wird.

Cinderella ist im Stadion, wenn einem Aussenseiter alles gelingt. Gerade die NHL kennt viele solche Geschichten: Etwa Edmontons wundersame Stanley-Cup-Finalqualifikation von 2006. Und wenn dann ein Team vom Glück wieder verlassen wird, heisst es eben «Cinderella has left the building» («Aschenputtel hat das Stadion verlassen.»). Seit dem Finale von 2006 hat Edmonton nie mehr die Playoffs erreicht.

Sind die SCL Tigers ein bisschen wie die Edmonton Oilers? Letzte Saison passte alles zusammen und am Ende standen die ersten NLA-Playoffs der Geschichte. Eine Sensation so gross wie die Finalqualifikation der Oilers.

Mal fehlt es hinten, mal vorne

Aber nun hat Cinderella das Ilfisstadion verlassen. Zuerst war Torhüter Robert Esche nicht in Form. Aber die Stürmer trafen. Das Torverhältnis aus den ersten sechs Spielen: 18:20. Und jetzt, da Esche endlich sein bestes Hockey spielt und über 90 Prozent Fangquote erreicht, treffen die Stürmer nicht mehr: Das Torverhältnis aus den letzten sechs Spielen: 9:15 und die zwei letzten Gegentreffer beim 1:4 gegen Zug ins leere Tor.

Es fehlt nie viel. Aber mal fehlt es hinten, mal vorne, mal vorne und hinten. Spiele gehen verloren, die in einer Cinderealla-Saison gewonnen werden. Teams wie Langnau, Biel, die Lakers oder Ambri haben nicht die Kadertiefe eines SC Bern oder Davos oder Zug oder Kloten, um Ausfälle auszugleichen und fehlendes Glück kompensieren zu können.

Sieg durch zufälliges Umstellen

Die SCL Tigers haben es soeben auf bittere Weise erfahren. Am Vorabend in Biel hatte eine wundersame, zufällige Umstellung kurz nach Spielbeginn (Moser für Gerber neben Pelletier und Perrault) die Entscheidung gebracht: Perrault erzielte beide Treffer zum 2:1. Sieg. Cinderella war im Stadion.

24 Stunden später dominierte diese Linie auch die Zuger und Simon Moser war der beste Langnauer. Aber ein Tor gelang weder ihm noch seinen beiden kanadischen Sturmpartnern. Damit war die 1:4-Niederlage besiegelt. Diesmal bescherte der Zufall Trainer John Fust keine neue Linienkombination. Cinderella war nicht mehr da.

Pelletier verlor die Nerven

Die Langnauer haben gegen Zug mit einer eher besseren Leistung als zuvor in Biel erst das Spiel, dann die Nerven und schliesslich Leitwolf Pascal Pelletier für die Partie am nächsten Dienstag in Zürich verloren: Der Kanadier beschimpfte nach der Schlusssirene Linienrichter Stefan Marti so lange, bis er von Head Nadir Mandioni zweimal zehn Minuten und damit eine Spieldauer-Disziplinarstrafe kassierte. Die zweite in dieser Saison für Pelleiter nach dem Restausschluss beim Derby in Bern für den Boxkampf gegen Johann Morant – und damit ist er für das Spiel gegen die ZSC Lions gesperrt.

Die in Biel soeben kreierte Linie (Moser/Pelletier/Perrault) gibt es zumindest für ein Spiel nicht mehr. Offensichtlich war es nicht einfach eine kleinliche Regelauslegung: Marti sagte gegenüber 20 Minuten Online, in 19 Jahren als Schiedsrichter sei ihm noch nie einer so vorbeigekommen.

Martin Steinegger ausser Gefecht

Wenigstens steht fest, dass Kurtis McLean für den Check, der Biels Martin Steinegger für mindestens drei Monate ausser Gefecht gesetzt hat (der Verteidiger erlitt eine leichte Gehirnerschütterung und brach beim Sturz aufs Eis die Hand) nicht gesperrt wird. Einzelrichter Reto Steinmann ist nach dem Studium des Videos zum gleichen Schluss gekommen wie Head Danny Kurmann: Ein korrekter Check des Kanadiers der Langnauer.

Der Ärger über die Schiedsrichter war also in Langnau nach der Niederlage gegen Zug gross. Doch die Spielleitung hat mit der Niederlage nichts zu tun, und das sah letztlich auch Cheftrainer John Fust so: «Unsere dritte und vierte Linie hat defensiv hervorragend gearbeitet. Aber wir brauchen Tore vom ersten und zweiten Sturm um ein Spiel zu gewinnen.»

John Fust hofft auf Rückkehrer

Die Zuger bekamen nach einem hektischen Beginn (mit einem Restausschluss für Timo Helbling nach einer Schlägerei mit Simon Moser) die Nerven und das Spiel wieder in den Griff und feierten schliesslich einen unspektakulären Arbeitssieg. Typisch für eine Mannschaft, die genug Substanz hat, um nach einem missglückten Start eine Partie doch noch unter Kontrolle zu bringen.

Langnaus Trainer John Fust hofft nun auf die Rückkehr der verletzten Stammspieler Sebastian Schilt, Claudio Neff und Claudio Moggi nach der Nationalmannschafts-Pause oder sogar noch früher. «Dann werden wir eine bessere Balance in den vier Blöcken haben.»

Torwart Esche zeigt sein bestes Hockey

Diese Balance ist verloren gegangen und das wird nun zum Problem. Ausgerechnet jetzt, da Robert Esche endlich in Langnau angekommen ist und sein bestes Hockey mit einer Abwehrquote über 90 Prozent zeigt und die Defensive wieder gut organisiert ist, fehlt vorne die Durchschlagskraft: Drei Tore in zwei Spielen (1:2 in Biel, 1:4 gegen Zug) mit drei ausländischen Stürmern reichen ganz einfach nicht, um die Playoffs zu erreichen. Die Diskussion um die Leistung der ausländischen Stürmer wird in Langnau eher früher als später wieder aufflammen.

Die Kanadier würden bei einer Situations-Analyse der SCL Tigers sagen: «Cinderella has left the building». Doch John Fust gibt noch nicht auf: «Ich hoffe, Cinderella macht nur eine Kaffepause und kehrt bald ins Stadion zurück.» Spätestens für das Derby am nächsten Freitag gegen den SC Bern.

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