Bundesratswahl«Wenn die Grünen in den Bundesrat wollen, hätten sie angreifen müssen»
Simonetta Sommaruga tritt zurück. Für Politologe Daniel Kübler wäre das die Chance für die Grünen gewesen, den freiwerdenden Sitz anzugreifen. Doch die haben andere Pläne.
Darum gehts
Die Grünen verzichten darauf, den Sitz von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga anzugreifen. «Für uns war immer klar, dass wir keinen SP-Sitz angreifen», sagt Fraktionschefin Aline Trede gegenüber 20 Minuten. Sie streitet nicht ab, dass es eine gute Chance gewesen wäre für die Grünen, sagt aber auch: «Wir wollen in den Bundesrat, aber nicht einfach um im Bundesrat zu sein. Wir müssen inhaltlich vorwärtskommen in der Klimapolitik oder etwa im Europadossier.» Der Plan der Grünen bleibe, bei den Wahlen 2023 anzugreifen.
Politologe Mark Balsiger nennt das «strategisch eher unbedarft». «Die Grünen sind die viertstärkste Kraft und hätten rechnerisch einen Anspruch auf einen Bundesratssitz. Es wäre nie einfacher gewesen als jetzt, einen Sitzanspruch anzumelden.» Die Grünen hätten es mit ihrem überraschend schnellen Verzicht verpasst, ihren eigenen Preis hochzutreiben.
Auch für Daniel Kübler, Politologe an der Universität Zürich, ist das eine riskante Strategie. Im Interview erklärt er, wie sich die Ausgangslage aufgrund von Sommarugas Rücktritt verändert hat.
Simonetta Sommaruga tritt zurück. Bringt das den zweiten SP-Sitz noch stärker ins Wanken?
Ja. Der zweite Sitz der SP wackelt jetzt gewaltig. Und für mich ist klar: Wenn die Grünen einen Sitz im Bundesrat anstreben, hätten sie jetzt den freiwerdenden Sitz angreifen müssen. Die SP schwächelt, hat bei den kantonalen Wahlen nicht sehr gut abgeschnitten. Gleichzeitig ist fraglich, ob die Grünen nach den Erneuerungswahlen im nächsten Herbst noch so stark sein werden wie jetzt.
Überraschend schnell haben die Grünen erklärt, sie werden das nicht tun.
Das ist riskant. Die Grünen könnten so ihre Chancen auf einen Sitz im Bundesrat verspielen. Es ist klar: Mit einem Angriff auf den SP-Sitz hätten sie nicht die Bürgerlichen geschwächt, sondern wären ihren Partnern in den Rücken gefallen. Doch der Anspruch der SVP auf einen zweiten Bundesratssitz wurde auch erst glaubwürdig, als sie ihre bürgerlichen Partner angegriffen haben. Ich bleibe dabei: Wenn die Grünen es ernst meinen mit ihren Ansprüchen auf einen Bundesratssitz, hätten sie ihre Beisshemmungen gegenüber der SP ablegen und angreifen müssen.
Braucht es einen grünen Bundesrat oder eine grüne Bundesrätin?
Können sie bei den Erneuerungswahlen 2023 einen Sitz erobern?
Das kommt sehr auf den Ausgang der Nationalratswahlen an. Wenn die Grünen den Rekordsieg von 2019 nicht wiederholen können und Wähleranteile verlieren, wird es schwierig.
Könnten sie nicht einen FDP-Sitz angreifen?
Das könnten sie in der Tat versuchen. Aber für einen Erfolg brauchen sie auch Stimmen aus der Mitte und die werden sich zweimal überlegen, ob sie die Linke stärken wollen.
Könnte dann 2023 plötzlich der Sitz von Alain Berset wanken?
Ich gehe nicht davon aus, dass er zurücktreten oder nicht wiedergewählt wird, insbesondere, da er nächstes Jahr Bundespräsident wird. Die SP wird also höchstwahrscheinlich mit einer Frau antreten. Das ist fast ein Muss, wenn sie weiter als die Partei ernst genommen werden wollen, die die Anliegen der Frauen vertritt. (Anmerkung der Redaktion: In der Zwischnzeit hat die SP bekanntgegeben, mit zwei Frauen antreten zu wollen.)
Auch die GLP ist seit den Wahlen 2019 im Aufwind. Könnten sie ebenfalls angreifen?
Zurzeit scheint mir das unwahrscheinlich. (Anm. d. Red.: Die GLP hat bekanntgegeben, auf einen Angriff zu verzichten). Aber wenn die GLP bei den Wahlen 2023 stark zulegt, könnten sie sich Chancen ausrechnen bei einem Angriff auf den FDP-Sitz.
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