Kreuzallergien: Wenn Küsse lebensgefährlich werden

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KreuzallergienWenn Küsse lebensgefährlich werden

Immer mehr Pollenallergiker reagieren auch auf Nahrungsmittel empfindlich – mit immer heftigeren Folgen.

Désirée Pomper
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Désirée Pomper

Nachdem Reto B. seine Freundin innig geküsst hatte, geschah es: Seine Zunge schwoll an, er geriet in akute Atemnot und erlitt heftige Magenkrämpfe. Was B. zu diesem ­Zeitpunkt noch nicht wusste: Seine Freundin hatte mehrere Stunden zuvor an einem Apéro Erdnüsschen gegessen. Für B., einen schweren Pollen- und Erdnussallergiker, lief der anaphylaktische Schock glimpflich ab – er hatte ein Notfallset dabei.

«Solche Zwischenfälle passieren immer häufiger; letztes Jahr dürften es mehrere Dutzend gewesen sein», sagt ­Georg Schäppi, Geschäftsleiter des Schweizerischen Zentrums für Allergie, Haut und Asthma (Aha!). Jüngst kam es in Kanada nach einem Kuss sogar zu einem Todesfall.

Grund für die Zunahme allergischer Anfälle sind die immer häufigeren Kreuzallergien. Die Anzahl Pollenallergiker, die plötzlich auf gewisse Nahrungsmittel empfindlich reagierten, steige merklich an, sagt Schäppi. Allein zwischen 2008 und 2009 hätten die Anfragen per E-Mail und beim Beratungstelefon von Aha! bezüglich Lebensmittelallergien um 50 Prozent zugenommen. So reagierten beispielsweise Menschen, die auf Gräserpollen allergisch seien, immer häufiger mit allergischen Symp­tomen auf Hülsenfrüchte, Tomaten oder Melonen. Birkenallergiker könnten immer öfter keine Äpfel, Pfirsiche oder Kirschen essen. Ausserdem seien nicht mehr nur Kinder und Jugendliche von den Kreuzreaktionen betroffen, sondern zunehmend Erwachsene zwischen 30 und 50. Dass nicht nur die Zahl der Allergiker, sondern auch die der Kreuzreaktionen deutlich zunimmt, könnte laut Schäppi «an den Luftschadstoffen, dem Umgang mit der Hy­giene und dem Vormarsch exotischer Früchte» liegen.

«Todesfall ist Frage der Zeit»

Der Geschäftsleiter des Schweizerischen Zentrums für Allergie, Haut und Asthma, ­Georg Schäppi, über Kreuz­reaktionen.

Wie gefährlich sind Kreuzallergien?

Georg Schäppi: Wir stellen fest, dass die allergischen Reaktionen bei Kreuzallergien zunehmend schlimmer ausfallen. Es kommt immer häufiger zu anaphylaktischen Schocks.

Was passiert dabei?

Es handelt sich dabei um eine heftige Immunreaktion, bei der das Blut in die äussersten Hautschichten fliesst. Fehlt das Blut im Hirn, können die Leute kollabieren – eine lebensbedrohliche Situation.

Sind in der Schweiz nach einem anaphylaktischen Schock bereits Leute gestorben?

Nein. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis es zum ersten Todesfall in der Schweiz kommt. In den USA kommt es jährlich zu Hunderten solcher Todesfälle.

Wie kann man sich gegen heftige Kreuzreaktionen schützen?

Am besten verzichtet man auf die entsprechenden Nahrungsmittel. Betroffene Allergiker sollten dennoch stets ein Notfallset mit einer Andrenalinspritze bei sich haben. Wartet man auf einen Arzt, kann es bereits zu spät sein.

Schweizer Allergie-Klassiker Sellerie

Besonders viele Schweizer reagieren laut Naturwissenschafter Georg Schäppi auf Sellerie allergisch. Wer betroffen ist, muss beim Essen oft besonders vorsichtig sein, da sich Sellerie auch in Suppenwürfeln, Gewürzmischungen oder Kräutersalz befindet. Mehr als die Hälfte der Sellerieallergiker verträgt auch keine Karotten und reagiert zudem auf Curry, Paprika, Fenchel, Anis, Kümmel, Koriander, Dill und Kamille allergisch. Entdeckt hat das so genannte Sellerie-Karotten-Beifuss-Gewürz-Syndrom übrigens bereits vor 25 Jahren ein Schweizer: der Zürcher Allergologe Brunello Wüthrich.

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