Professor*innen«Wenn wir gendern, dann richtig»
«Studenten» oder «Studierende»? «Verbrecher» oder «Verbrecher*innen»? Linguistin Damaris Nübling findet, dass wir unsere Sprache dringend anpassen müssen.
- von
- Désirée Pomper
Frau Nübling, fühlen Sie sich angesprochen, wenn von «Professoren» die Rede ist?
Nein, ich finde die Formulierung unangemessen. Man blendet damit die vielen Professorinnen aus, zumal dieser Beruf per se immer noch stark männlich aufgeladen ist.
Warum sind Sie sich da so sicher?
Zahlreiche empirische Studien haben gezeigt, dass Menschen die maskuline Pluralform stark männlich assoziieren. Spricht man also von «Professoren», denken die meisten an männliche Professoren.
Wie wurde das getestet?
Man hat Studienteilnehmer gebeten, sich ein paar Professoren vorzustellen und ihnen Namen zu vergeben. Es fielen nur Männernamen. Der männliche Mensch gilt nach wie vor als Repräsentant der Menschen.
Sie haben gemeinsam mit Helga Kotthoff das Buch «Genderlinguistik: Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht» veröffentlicht. Zu welchem Schluss kamen Sie?
Es ist erschreckend, wie viele Stereotypen noch in aktuellen Wörterbüchern kursieren. Die Tante unternimmt Familienbesuche, der Onkel bezahlt dem Neffen das Studium. Frauen werden in der Sprache noch viel zu oft mit familiären Angelegenheiten in Verbindung gesetzt, Männer dagegen mit beruflichem Erfolg.
Befinden sich 100 Polizistinnen im Raum, sprechen wir von «Polizistinnen». Gesellt sich ein Mann dazu, lautet der Plural «Polizisten». Im umgekehrten Fall ändert die Präsenz einer Frau nichts. Finden Sie das problematisch?
Ja, das ist ein riesiges Problem. Diese männliche Mehrzahl transportiert ein altes Gesellschaftsbild. Es ist eine Altlast aus dem 19. Jahrhundert, als tatsächlich ausschliesslich Männer Polizisten oder Professoren waren. Die Gesellschaft hat sich seither verändert. Aber bis sich diese Veränderungen auf die Sprache übertragen, dauert es sehr viel länger, vielleicht noch 100 Jahre. Frauen dürfen in unserer Sprache nicht länger übergangen werden. Deshalb müssen wir diese Schieflage in der Sprache angehen.
Die Schweizer SP-Politikerin Tamara Funiciello sagt: «Wenn wir nur von Ärzten sprechen und nicht von Ärztinnen, können sich Mädchen gar nicht vorstellen, Ärztin zu werden.» Was sagen Sie dazu?
Der Arzt ist immer noch männlich genderisiert, auch wenn inzwischen bereits mehr Frauen Medizin studieren als Männer. Diese semantische Verschiebung ist langwieriger und zäher als die gesellschaftliche Veränderung.
Aber ist es denn nicht viel bedeutsamer für ein Mädchen, dass es weibliche Vorbilder hat, etwa eine Mutter, die selber Chefin ist, als dass in der Sprache weibliche Formen verwendet werden?
Natürlich sind weibliche Vorbilder wichtig. Die Versuche, beides gegeneinander auszuspielen, ist eine alte Strategie, die Sprache als unwichtig darzustellen. Man kann das eine tun und muss das andere nicht lassen.
Was denken Sie über das Experiment zum Frauentag?
Gemäss Kritikern ist die Gendersprache ein symbolischer Stellvertreterkampf zwischen den Geschlechtern, der an der Realität vorbeizielt. Dies auf dem Buckel der Sprache. Sprich: Frauen würden nicht mehr verdienen, nur weil man die Sprache anpasst. Stattdessen müssten sie lernen, härter zu verhandeln.
Noch einmal: Natürlich verdienen Frauen nicht mehr, nur weil weibliche Formen verwendet werden. Dennoch spielt die Sprache eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft und beeinflusst unsere Wahrnehmung der Welt stark.
Fehlt es Frauen nicht einfach an Selbstbewusstsein, wenn sie sich nicht automatisch angesprochen fühlen, wenn etwa von «Kollegen» und nicht explizit von «Kolleginnen und Kollegen» oder «Kolleg*innen» die Rede ist?
Es geht hier nicht um fehlendes Selbstbewusstsein, sondern um Respekt Frauen gegenüber. Die sprachliche Wahrnehmung auch von Frauen ist Teil eines Zivilisationsprozesses, der seit langem läuft und immer mehr Menschen einschliesst.
Was denken Sie über junge, emanzipierte Frauen, die sich beim männlichen Plural mitgemeint fühlen und kein Problem damit haben?
Bei jungen Frauen beobachte ich dies genau nicht, wenn, dann bei älteren. Ich halte solche für ein Auslaufmodell.
Autorin Katja Lange-Müller findet, die Sprache müsse sich selber weiterentwickeln. Und nicht von aussen entwickelt werden, sprich von den Behörden.
Wollen wir wirklich noch 200 Jahre warten, bis die gesellschaftliche Realität in der Sprache angekommen ist? Viele Frauen und Männer sind da zu ungeduldig. Glücklicherweise haben Behörden schon in der Vergangenheit den Prozess beschleunigt. Wir sprechen schliesslich auch nicht mehr von «Krüppeln», sondern respektvoll von «Menschen mit Behinderung». Auch andere verletzende Begriffe etwa für bestimmte Ethnien werden nicht mehr verwendet.
Wie soll eine gendergerechte Sprache aussehen?
Die beste Methode wäre es, das Geschlecht ganz wegzulassen. Das geht aber nicht in allen Fällen. Deshalb schlage ich eine bunte Mischung aus verschiedenen Formen vor: Beidnennungen («Polizistinnen und Polizisten»), Sternchen («Professor*innen») oder Neutralisierungen («Studierende»). Die letzten beiden Varianten schliessen auch Menschen ohne eindeutige Geschlechtszuordnung ein. Ich warne vor fundamentalistischen Regeln. Es geht darum, dass die Schreibenden erkennen lassen, dass sie sich Mühe gegeben haben.
Wäre es nicht irritierend, plötzlich auch von Vergewaltiger*innen und Tunnelbauarbeitenden zu lesen?
Wenn wir gendern, dann richtig. Da dürfen wir auch nicht bei Verbrechern haltmachen. Natürlich wären solche Änderungen zu Beginn irritierend, aber das sind Veränderungen immer. Erinnern wir uns an den Aufschrei, als das «Fräulein» abgeschafft wurde. Inzwischen stört sich niemand mehr daran. Sprache hat viel mit Gewöhnung zu tun.
Im deutschsprachigen Raum führen die Behörden gendergerechte Sprache ein. Der Verein für Deutsche Sprache wehrt sich und fordert: «Weg mit diesem Genderunfug.» Die Rede ist von «zerstörerischem Eingriff in die deutsche Sprache».
Ich bin überzeugt, dass eine gendergerechte Sprache durchaus stilistisch ansprechend ist, wenn man sich Mühe gibt und an gendersensibler Sprache wirklich interessiert ist. Übrigens haben Tests mit Beipackzetteln gezeigt, dass die Informationsaufnahme durch eine gendergerechte Sprache nicht im geringsten beeinträchtigt wird.

Damaris Nübling
*Damaris Nübling ist eine deutsche Sprachwissenschaftlerin. Sie lehrt am Deutschen Institut an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Gemeinsam mit Helga Kotthoff und Claudia Schmidt hat sie das Buch «Genderlinguistik – Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht» publiziert.
Sprachexperiment zum Tag der Frau
Liebe Leserinnen*
Sie reden, wie es Ihnen passt? Gut so! Die meisten Wörter kommen uns in den Mund, ohne dass wir eine Sekunde darüber nachdenken.
Gelernt haben wir unsere Sprache von unseren Eltern und Grosseltern. Sie haben ihre Sprache wiederum von ihren Vorfahren und Vorfahrinnen gelernt. So heissen zum Beispiel Mütter in manchen Familien «Mami», in anderen «Mama», «Mueti», «Müeti», «Ma» oder «Nëna». Diese Familientraditionen machen uns aus, geben uns Identität. Ändern wir sie, tun wir das bewusst.
Dass wir von «Mitarbeitern», «Kunden» und «Lesern» sprechen und dabei die «Mitarbeiterinnen», «Kundinnen» und «Leserinnen» einfach mitmeinen, ist keine Familientradition, sondern die Tradition einer ganzen Gesellschaft. Sie entstand in einer Zeit, in der die Frauen den Männern untergeordnet waren.
Ob wir deswegen heute unsere Sprache verändern wollen oder nicht, entscheiden wir als Gesellschaft.
Wir haben das Experiment gemacht und zum gestrigen Internationalen Tag der Frau in der Printausgabe vom Montag konsequent die weibliche Form gewählt, wenn wir über Personengruppen schreiben. Entscheiden Sie selbst: Ist es ein Problem, wenn ein Geschlecht einfach mitgemeint ist? Diskutieren Sie mit auf 20minuten.ch!
Gaudenz Looser, Chefredaktor.