Krankenkassen-Experte«Wer gesund lebt, sollte belohnt werden»
Das heutige Gesundheitssystem schaffe kaum Anreize, gesund zu leben, sagt Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly im Interview. Abhilfe könnten Bonusversicherungen schaffen.
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Herr Schneuwly, es gibt Forderungen, dass Krankenkassen früher als heute für Übergewicht-OPs bezahlen sollen. Was halten Sie davon?
Die Frage, ob Krankenkassen früher die teuren Eingriffe übernehmen sollen, ist schwierig. Findet keine Operation statt und kommt es zu Folgeschäden, müssen sie ebenfalls von den Krankenkassen bezahlt werden. Was längerfristig teurer ist, lässt sich kaum abschätzen. Es ist nicht erwiesen, dass sich mit einer Übergewichts-OP tatsächlich Kosten sparen lassen. Das eigentliche Problem liegt aber nicht bei den Eingriffen.
Sondern?
Am günstigsten ist es, wenn die Leute ihr Gewicht im Griff haben. Grundsätzlich sind viele Krankheiten vermeidbar, wenn wir uns gesünder ernähren und mehr bewegen würden. Doch das heutige Gesundheitssystem fördert das kaum.
Wie müsste denn das jetzigen System geändert werden?
Es müsste zielgruppenspezifische Anreize geben – zum Beispiel für Übergewichtige, um ihr Gewicht zu senken. Aber man sollte auch versuchen, jene, die gesund leben, zu belohnen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Es könnte beispielsweise eine Bonusversicherung für Übergewichtige geben. Jedes Jahr, in dem sie ihren BMI senken, würden sie durch günstigere Prämien belohnt. Eine andere Variante wäre ein Malus-System: Wer sein Gewicht über längere Frist nicht reduzieren kann, müsste einen höheren Selbstbehalt bezahlen – falls sein Übergewicht Kosten verursacht. Das gleiche Prinzip liesse sich auch auf andere ungesunde Verhaltensweisen und Folgeschäden anwenden.
Warum lancieren die Krankenkassen keine solchen Versicherungen?
Teilweise ist das Prinzip schon in den Franchisen enthalten – bei einer hohen Kostenbeteiligung ist der Anreiz grösser, gesund zu leben. Es gibt Bonusversicherungen. Doch kaum jemand wählt diese, weil die gesetzlichen Vorschriften nicht attraktiv sind. Die Kassen verlangen aus Imagegründen keine Verbesserungen für die unattraktiven Bonusversicherungen. Ihnen würde sofort vorgeworfen, das heutige System, das auf Solidarität beruht, zu untergraben.
Es wäre aber unsolidarisch.
Für die Grundversicherung müssen wir laufend mehr bezahlen. Das hat auch damit zu tun, dass alles, was krank macht, von den Krankenkassen übernommen werden muss. Wenn Prämien immer weiter steigen, müssen wir uns irgendwann überlegen, wie weit die Solidarität gehen soll. Vorschläge wie Bonusversicherungen sind unpopulär, doch man muss den Mut haben, darüber zu reden, weil Solidarität ohne Eigenverantwortung langfristig die Solidarität gefährdet.

Felix Schneuwly ist Krankenkassen-Experte beim Vergleichsdienst Comparis.