«Ein Sack Flöhe»Wer versteckt sich hinter der «Freien Linken»?
Sie mischt den Abstimmungskampf um das Covid-Gesetz auf: Die «Freie Linke Schweiz». Die Mitglieder der Organisation sind weitgehend unbekannt.
- von
- Nicolas Meister
Darum gehts
Spätestens seit der Kundgebung vom 23. Oktober in Bern sind die «Freien Linken» als treibende politische Kraft gegen das Covid-Gesetz bekannt. Sie seien «eine Stimme für alle Menschen, denen wirklich linke Politik am Herzen liegt», heisst es in einem Aufruf. Ausserdem biete sie den Menschen eine Plattform, die «dem heutigen Krisenmanagement kritisch gegenüberstehen». Melanie, ein Gründungsmitglied der «Freien Linken», sagte kürzlich gegenüber dem «Tagblatt»: «Wir wollen zeigen, dass nicht nur Rechte gegen die Coronapolitik sind.»
Mittlerweile ist die Berner Stadträtin und Juristin Simone Machado (Grün-alternative Partei) zum Gesicht der «Freien Linken» geworden. Zuerst sei die Mitorganisatorin der Kundgebung vom 23. Oktober gelegentlich auf Telegram als «eine Plattform für den Meinungsaustausch» aktiv gewesen, sagt die Stadträtin. Irgendwann hätten sich einige Teilnehmer getroffen und gemeinsam beschlossen, an den Kundgebungen gegen die Corona-Massnahmen teilzunehmen. Am 23. Oktober schliesslich hatte die «Freie Linke» ihren ersten grossen Auftritt als Mitorganisatorin der Kundgebung in Bern.
Lose Struktur und unterschiedliche Meinungen
Zwar zählt die «Freie Linke» mittlerweile bereits 40 aktive Mitglieder, die sich um organisatorische Aufgaben kümmern. Dennoch sei die Struktur sehr lose, so die Berner Stadträtin. Eine eigene Website gibt es noch nicht. Auch auf Twitter ist die «Freie Linke» erst seit Oktober 2021 aktiv. Machado ist zudem das einzige Mitglied, das sich öffentlich und mit Namen äussert. Andere, wie etwa das Gründungsmitglied Melanie, wollen ihre Identität nicht preisgeben.
Zudem sei die Organisation wie ein «Sack Flöhe», sagt Machado. Die meisten Mitglieder verträten unterschiedliche Meinungen zu Corona und den Massnahmen. Die Kerngruppe sei zusammengewürfelt aus Personen mit unterschiedlichem «linken» Hintergrund. Das Covid-Zertifikat sei der «kleinste gemeinsame Nenner». «Zumindest in diesem Punkt sind wir alle gleicher Meinung», sagt Machado.
Widersprüchliche Meinungen
Wie heterogen und widersprüchlich die Gruppe ist, zeigen folgende Beispiele: In Flyern der «Freien Linken» wird behauptet, die Impfung sei nicht sicher. Das sieht Machado anders. Ihr sei vor allem wichtig, dass jede Person selbst entscheiden kann, ob sie sich impfen lassen möchte. Auch zur «Diktatur des Bundesrates» ist die Juristin anderer Ansicht: «Das Parlament gewährt dem Bundesrat im Covid-19-Gesetz zu weitreichende Kompetenzen.» Von einer Diktatur könne man aber nicht sprechen.
Medienberichten zufolge marschieren bei den Corona-Demonstrationen vermehrt Rechtsextreme mit. Simone Machado distanziert sich von solchen Vorwürfen: «Wir dulden keine Form von Rechtsextremismus, Sexismus und menschenfeindlichem Gedankengut.» Sie fügt an, dass auch die Mitglieder der «Freunde der Verfassung» oder des «Bündnis der Urkantone» keine rechtskonservativen Meinungen verträten. Ganz im Gegenteil: Ein Grossteil aller Anhängerinnen und Anhänger sei «gesellschaftlich liberal» orientiert.
Hang zu rechtskonservativen Ansichten
Marco Kovic, Sozialwissenschaftler und Dozent an der Kalaidos-Fachhochschule, widerspricht. Man wisse aus Studien und Umfragen, dass die Bewegung der Corona-Skeptiker tendenziell rechts-konservativ sei. Vereinzelt gäbe es auch linksorientierte Gruppierungen wie die «Freie Linke», die sich gegen die Coronapolitik des Bundesrates stellen.
In dieser Debatte werde das klassische Links-Rechts-Schema jedoch gesprengt. Der Vorwurf einer «Coronadiktatur» durch den Bundesrat könne nicht klar politisch rechts oder links eingeordnet werden. Deshalb «müsste man ihr Wahl- und Abstimmungsverhalten analysieren», um die verschiedenen Gruppierungen politisch genauer einschätzen zu können, sagt Kovic.
Fake-News und Drohungen in Telegram-Chats
Die Telegramchats der «Freien Linken» sind ein weiteres Beispiel: Zurzeit kursieren vermehrt gefälschte Flyer mit rechtsextremen Symbolen oder Drohungen, Redaktionen verschiedener Zeitungen zu stürmen. Machado verurteilt solche Aktionen aufs Schärfste. In ihren Augen seien diese Chats nicht «zeitgemäss»: «Jede Person kann solchen Chats beitreten und Fake-News verbreiten.» Zur Zeit wird sie selbst Opfer sogenannter «Trolls» auf Twitter. Kürzlich musste sie sich sogar einen Cyberkriminalisten zu Hilfe holen, um sich vor solchen Angriffen zu schützen.

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