In Chinas Desinformationskrieg: WHO-Team nimmt in Wuhan seine Arbeit auf – gegen alle Widrigkeiten

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In Chinas DesinformationskriegWHO-Team nimmt in Wuhan seine Arbeit auf – gegen alle Widrigkeiten

China soll den Ausbruch der Corona-Pandemie vertuscht zu haben. Jetzt hat ein WHO-Expertenteam in Wuhan seine Untersuchungen aufgenommen. Peking befürchtet, dass peinliche Details ans Licht kommen könnten – und gibt Gegensteuer.

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Die WHO-Wissenschaftler kriegen zu spüren, wie politisch aufgeladen ihre Mission ist (hier am Freitag bei der Ankunft im Xinhua Hospital in Wuhan). 

Die WHO-Wissenschaftler kriegen zu spüren, wie politisch aufgeladen ihre Mission ist (hier am Freitag bei der Ankunft im Xinhua Hospital in Wuhan).

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Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Pandemie auf einem Markt für Wildtiere in Wuhan ihren Ausgang nahm. Seit dem Beginn der Pandemie Ende 2019 starben in ganz China nach offiziellen Angaben 4636 Menschen, 3900 davon in Wuhan. 

Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Pandemie auf einem Markt für Wildtiere in Wuhan ihren Ausgang nahm. Seit dem Beginn der Pandemie Ende 2019 starben in ganz China nach offiziellen Angaben 4636 Menschen, 3900 davon in Wuhan.

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Für die Kommunistische Partei ist die WHO-Mission ein politisches Risiko, weil es die Aufmerksamkeit wieder auf die Reaktion des Landes nach den ersten Fällen richte, so Analysten (im Bild: Journalisten werden vom WHO-Team abgeschirmt). 

Für die Kommunistische Partei ist die WHO-Mission ein politisches Risiko, weil es die Aufmerksamkeit wieder auf die Reaktion des Landes nach den ersten Fällen richte, so Analysten (im Bild: Journalisten werden vom WHO-Team abgeschirmt).

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Darum gehts

  • Chinas Staatsmedien werfen verstärkt Fragen zur Sicherheit westlicher Corona-Impfstoffe auf.

  • Gleichzeitig streut Peking fragwürdige Theorien zum Ursprung des Coronavirus.

  • Beides ist kein Zufall: Man will ablenken, keine Schuld eingestehen und das Gesicht wahren.

Es ist kein Zufall, dass Chinas Staatsmedien und die Behörden derzeit verstärkt Zweifel an den Vakzinen des Westens streuen. Es ist auch kein Zufall, dass Peking gerade jetzt wieder fragwürdige Theorien zum Ursprung des neuen Coronavirus verbreiten lässt – und das erfolgreich. Nach der Andeutung einer Sprecherin, das Virus stamme ursprünglich aus einem Laboratorium des US-Militärs, starte die Kommunistischen Jugendliga den Hashtag «American’s Ft. Detrick», der in den sozialen Medien Chinas über 1,4 Milliarden Erwähnungen fand. Mittlerweile wird das Coronavirus als «Amerika-Virus» bezeichnet.

Dass Peking die beiden Themen – Impf-Wirksamkeit und Ursprung des Virus – gerade jetzt wieder propagandistisch auflädt, hat zum einen mit den weltweit angelaufenen Impfkampagnen zu tun: In deren Rahmen kamen Vergleichstests zum Schluss, dass die Wirksamkeit des chinesischen Impfstoffs schlechter abschnitt als angegeben. «Als Konsequenz versucht China, Zweifel am Pfizer-Impfstoff zu säen, um sein Gesicht zu wahren und für den eigenen Impfstoff zu werben», erklärt Fang Shimin, ein populärwissenschaftlicher Schriftsteller, der über Betrug in der chinesischen Forschung schreibt.

WHO-Mission als politisches Risiko

Zum anderen hat das Expertenteam der Weltgesundheitsorganisation WHO seine zweiwöchige Quarantäne in Wuhan jetzt hinter sich gebracht und mit den Nachforschungen zum Ursprung des Coronavirus begonnen. Für die Kommunistische Partei ist die WHO-Mission ein politisches Risiko, weil es die Aufmerksamkeit wieder auf die Reaktion des Landes nach den ersten Fällen richte, erklärt Jacob Wallis vom Australian Strategic Policy Institute. Die Partei wolle die heimische und internationale Öffentlichkeit ablenken, indem sie das Narrativ zur Verantwortung für die Ausbreitung des Coronavirus verändere.

Die WHO-Wissenschaftler kriegen zu spüren, wie politisch aufgeladen ihre Mission ist. So war ihre Reise von Anfang an durch Verzögerungen und Verschleierungen durch die chinesischen Gastgeber geprägt. Bis heute ist unklar, was sie in Wuhan alles sehen werden – und ob es über ein Jahr nach dem Ausbruch überhaupt noch verwertbare Beweise gibt. Immerhin weiss man, dass auf dem Programm der Wissenschaftler «Seminare, Exkursionen und Besuche» mit dem Ziel der «wissenschaftlichen Ursprungsforschung» stehen. Frei bewegen können sich die Forscher nicht.

Überwachte Hinterbliebene

Am Freitag trafen sie mit Behördenvertretern zusammen und besuchten später ein Spital, in dem am 27. Dezember 2019 nach offiziellen Angaben die ersten Fälle einer «Lungenentzündung unbekannter Herkunft» registriert worden waren. Die WHO-Leute forderten Daten an und wollten ausserdem mit Mitarbeitern und ehemaligen Corona-Patienten sprechen. Geplant war auch ein Besuch des weiterhin geschlossenen Huanan-Markts. Dieser gilt als Ursprungsort der Pandemie, in der inzwischen mehr als 2,1 Millionen weltweit gestorben sind.

Mit dem WHO-Team wollen auch viele Hinterbliebene der Corona-Toten in Wuhan sprechen. Sie forderten ein Treffen, um Auskunft über die chaotischen Anfangswochen der Pandemie zu geben. Dass ihnen das gestattet wird, gilt als unwahrscheinlich. Vielmehr werden sie nach eigenen Angaben seit der Ankunft des WHO-Teams von den Behörden verstärkt beobachtet.

Der Auftakt der WHO-Ermittlungen in Wuhan wurde auch begleitet von einem heftigen Schlagabtausch zwischen Washington und Peking. Washington forderte eine tiefgehende Untersuchung ohne «Falschinformation» durch China, während Peking vor einer «Politisierung» der Mission warnte. Die Wissenschaftler müssten ihre Untersuchungen «frei von politischer Einmischung» vornehmen können. China hoffe, dass die USA «Fakten und Wissenschaft» sowie «die harte Arbeit des internationalen Expertenteams respektieren» könnten.

Chinas Desinformationskampagne

- Chinas Staatsmedien forderten Ermittlungen zum Tod von 23 Senioren in Norwegen, die den Impfstoff von Pfizer erhalten hatten. Sie warfen den westlichen Medien vor, diese Vorfälle zu ignorieren. Gesundheitsexperten zufolge kann es bei Massenimmunisierungen zu Todesfällen kommen, die nicht auf die Impfung zurückzuführen seien. Wissenschaftler der WHO kamen nach einer Untersuchung zu dem Schluss, dass der Impfstoff nicht zum Tod der Senioren in Norwegen führte.

- Ein Bericht von Wissenschaftlern in Brasilien brachte Peking in Verlegenheit: Dieser untersuchte die Effektivität eines chinesischen Impfstoffs. Ursprünglich wurde diese mit 78 Prozent angegeben. Die Wissenschaftler korrigierten diesen Wert jedoch auf 50,4 Prozent, wenn Fälle mit leichten Symptomen eingerechnet werden.

- Daraufhin meldeten Forscher vom Australian Strategic Policy Institute, einem von der australischen Regierung unterstützten Think Tank, eine Zunahme von Falschinformationen über westliche Impfstoffe in den chinesischen Medien. dutzende Artikel in Online-Blogs zu den Themen Wissenschaft und Gesundheit widmeten sich ausgiebig dem Pfizer-Impfstoff und Fragen zu den Daten aus den klinischen Versuchsreihen.

- Chinesische Regierungsvertreter äusserten lautstark Besorgnis über die mRNA-Impfstoffe, die von westlichen Pharmafirmen entwickelt wurden. Diese setzen auf eine neuere Technologie als der eher traditionelle Ansatz der chinesischen Impfstoffe. Der Direktor der chinesischen Gesundheitsbehörde, Gao Fu, erklärte im Dezember, er könne Nebenwirkungen bei den mRNA-Vakzinen nicht ausschliessen. Er verwies darauf, dass diese Art des Impfstoffs erstmals verwendet werde.

- Yuan Zeng, eine Expertin für chinesische Medien an der Universität von Leeds in Grossbritannien, erklärt, die Theorien der Regierung seien inzwischen so weit verbreitet, dass auch hochgebildete chinesische Freunde sie fragten, ob sie wahr sein könnten. Sie warnt, die gezielte Befeuerung von Zweifeln und die Verbreitung von Verschwörungstheorien gefährdeten die Gesundheit der Menschen.

(AFP)

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