Stanley-Cup-FinalWie Céline Dion gegen Metallica
Die Vancouver Canucks spielen Eishockey, wie Céline Dion singt: schön und brav. Dumm nur: Wenn die Boston Bruins rocken wie Metallica, ist davon nichts mehr zu hören.
- von
- Jürg Federer
- USA

Tim Thomas brachte die Vancouver Canucks in Spiel 3 und 4 immer wieder zum Verzweifeln. (Bild: AFP)
Die Vorzeichen vor dem Stanley-Cup-Final 2011 waren klar. Vancouver gewann in 82 Qualifikationspartien der NHL 117 Punkte, Boston «nur» 104. Die Canucks vertrauten sowohl im Sturm als auch im Tor auf Spieler der absoluten Luxusklasse und weiss mit Daniel und Henrik Sedin sowie mit Roberto Luongo drei Spieler in seinem Kader, die mehr als fünf Millionen Dollar pro Jahr kosten. Die Bruins hatten mit Zdeno Chara gerade mal einen Luxusspieler dieser Preisklasse im Team. Vancouver hat als Gewinner der «Presidents Trophy» für das beste Team der Qualifikation den Heimvorteil im Stanley-Cup-Final, Boston muss auswärts gewinnen, um den Stanley Cup in die Höhe zu stemmen.
Drei Playoffrunden lang lief alles nach Plan. Die Ausnahmekönner der Vancouver Canucks haben alle Wertungen der NHL-Statistik dominiert, Daniel Sedin war Topskorer, Henrik Sedin der beste Assistgeber, Roberto Luongo der beste Torhüter. Aber jetzt, wo es im Stanley-Cup-Final um alles oder nichts geht, sind die Canucks aus der Bestenliste verschwunden. Bester Torschütze ist David Krejci von Boston, Topskorer ist ebenfalls Krejci von Boston, bester Plus/Minus-Spieler ist Zdeno Chara von Boston und Tim Thomas führt in allen Torhüterstatistiken, Siege, Gegentore, Fangquote und Shutouts – auch er spielt für Boston.
Henrik Sedin ist alleine auf weiter Flur verblieben, als einziger Vancouver-Spieler wird er noch als der NHL-Spieler mit den meisten Assists in den diesjährigen Playoffs aufgeführt. Freundlich lächelt Sedin in seinem Passbild auf der Startseite der NHL-Statistik im Internet, während neben ihm sieben grimmige Bruins in die Kamera starren.
Ein Spiel ohne Provokationen
Das freundliche Lächeln von Henrik Sedin erklärt, weshalb die Vancouver Canucks nach vier Partien im Stanley-Cup-Final nicht mehr Favorit auf den Gewinn der Meisterschaft sind. Das NHL-Team aus British Columbia hat das Selbstbewusstsein, allein mit Talent jede Eishockeymannschaft der Welt besiegen zu können. Alain Vigneault, Headcoach der Vancouver Canucks, bestätigt: «Wir sind eine Mannschaft, die nur vom Puckeinwurf bis zum Schiedsrichterpfiff spielt. Was danach geschieht, ist nicht unser Spielplatz.»
Will heissen, dass Vancouver keine Mätzchen spielt, nicht provoziert, nicht einschüchtert und sich auch nicht einschüchtern lässt. Wenn Vigneault verkündet, dass sein Team auf dem Spielplatz der Provokationen keinen Spieler aufstellt, dann ist das, als liesse der amerikanische Präsident verlauten, dass der Krieg gegen den Terrorismus an Weihnachten, an Ostern und an Pfingsten sowie am amerikanischen Unabhängigkeitstag unterbrochen wird.
Rausgeputzte Superstars gegen bärtige Krieger
Die Vancouver Canucks haben im Stanley-Cup-Final bisher versucht, eine Schlacht zu gewinnen, ohne in den Krieg zu ziehen. Betrachtet man die Spielerbank der Canucks, so sieht man fein rausgeputzte Superstars, mit rasierten Gesichtern und liebevollen Blicken. Die Keslers, Salos und Sedins sehen aus, als würden sie gleich eine Wohltätigkeitsveranstaltung besuchen. Einige Meter weiter drüben sitzen auf der Spielerbank von Boston 20 aufopfernd kämpfende Krieger mit Playoffbärten, so wild, als wären sie gerade aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zurückgekehrt.
Die Vancouver Canucks haben zwar das Talent, jede Eishockeymannschaft dieser Welt zu besiegen, aber die Boston Bruins haben den Willen, jedes stärkere Team dennoch zu biegen. Man kann die beiden Eishockeymannschaften auch musikalisch vergleichen. Vancouver spielt so brav, wie die kanadische Sängerin Céline Dion ihre Balladen singt. Aber davon hört niemand einen Ton, solange mit den Boston Bruins auf derselben Bühne die amerikanische Heavy-Metal-Gruppe Metallica spielt.