Im Falschen FilmWie die böse Königin Heidi das Finale verpfiff
Für einen Sportredaktor ist Germany's Next Top Model, was für den Unterhaltungsjourni Mixed Martial Arts ist: unmenschlich und brutal. Eine Einschätzung durch die Sportbrille.
- von
- Patrick Toggweiler
Guter Kampfsport ist nicht einfach nur das Duell Mann gegen Mann oder Frau gegen Frau. Guter Kampfsport erzählt den Konflikt zweier unterschiedlicher Menschen: Schwarz gegen weiss, Kapitalist gegen Kommunist, Arbeiter gegen Dandy. Je unterschiedlicher die beiden Duellanten, desto besser. Und hier stehen sich zwei wirklich sehr unterschiedliche Menschen gegenüber.
In der einen Ecke Rebecca – sexy, selbstsicher, brünett. In der anderen Ecke zittert die blonde Jana wie ein geblendetes Reh kurz vor dem Zusammenprall mit einem LKW. Ihre einzigen Gemeinsamkeiten: Beide sind schön – und beide stehen im Final von Germany's Next Topmodel, von Kennern auch «GNTM» genannt.
Für guten Kampfsport braucht es aber eine weitere Zutat: einen unauffälligen Ringrichter mit Fingerspitzengefühl. Und das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was die Castingshow zu bieten hat.
Einmal und nie wieder
Ich gebe zu, ich bin kein Experte in Sachen Mode und Models und ich habe keinen Schimmer, welche der beiden «mehr Jobs an Land gezogen hat». Ich war bis vor kurzem Sportredaktor, mag Fussball und MMA und ich schraube gerne an Motorrädern. Die gestrige Finalsendung war für mich eine Premiere. Noch nie habe ich bisher eine Folge der Sendung durchgestanden.
Glauben Sie mir, ich verstehe was von Schiris. Und Heidi Klum – in ihrer Doppelrolle als Jurorin und Moderatorin nimmt Sie diese Rolle ein – ist eine, von der man nur zu gerne wüsste, wo ihr Auto steht.
Zwar fällt in der gesamten Finalshow von Germany's Next Topmodel nicht ein einziges negatives Wort. Aber sogar Klums Komplimente wirken herzlos und kalt. Als der mir unbekannte heterosexuelle Juror sich an die Finalistinnen wendet, sie seien beide Siegerinnen, beide hätten sein Herz erobert, legt der mir unbekannte schwule Juror «sein Herz noch obendrauf». Ein Hauch von Sentimentalität, den die Klum sofort zunichte macht. Sie würgt ohne Augenkontakt ein «Ich lege meins natürlich auch noch obendrauf» heraus. Runtergehaspelt wie das Vaterunser eines Geistlichen, bevor er sich über einen Messdiener hermacht.
«Gleich» dauert fünf Minuten
Momente später stehen die beiden Kandidatinnen mit der Moderatorin vor einer riesigen Videowand, um «gleich» zu erfahren, welche der beiden jubeln darf. «Ich kann mich noch ganz genau an dich erinnern», setzt Klum in Richtung Jana an, um die Entscheidung weiter hinauszuzögern, «vor allen Dingen wegen deiner Lippenfalte.» Jana zittert am ganzen Leib. Ihr geht es «gar nicht gut». Ein humaner Ringrichter hätte an dieser Stelle abgebrochen.
Klum kennt aber keine Gnade. Sie verzögert weiter. Knapp fünf Minuten müssen die Kandidatinnen vor der Leinwand ausharren, während die Moderatorin mit ihnen Katz und Maus spielt. Die Grenze von «Spannung aufbauen» ist längst in Richtung «nervtötend» überschritten worden, zumal Klums Überbrückungen an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten sind: «Hach dieser Moment, dieser Moment, dieses Nervenkitzeln, die Herzen, die hier klopfen neben mir, die springen gleich aus dem Kleid raus.»
Kennen Sie eigentlich den (schlechten) Exploitationsfilm Film «Ilsa, the She Wolf of the SS»? Darin geht es um die sadistischen … egal.
Fast so gut wie Wrestling
Rebecca bekommt auch noch zu hören, Sie sei «eine riesen- riesengrosse Kämpferin». Was wie ein Kompliment hätte klingen sollen, tönt in meinen Ohren wie ein Vorwurf. Und da dämmert es mir, um was es hier eigentlich geht. Hier geht es nicht darum, wer Deutschlands nächstes Topmodel wird. Hier geht es darum, wer zum wirklichen Star der Show gekürt wird. Und da mischt die Schiri plötzlich mit gezinkten Karten selbst mit.
Fall gelöst, Sherlock: Das zitternde Espenlaub holt den Titel von «GNTM». Schneewittchen, die selbstbewusste Gefahr für die böse Königin, verliert mit dem 2. Platz Punkte im Kampf um den Gesamtsieg. Star der Show und eigentliche Siegerin bleibt Heidi Klum dank einer taktischen Meisterleistung.
Ehrlich gesagt, weder Jana noch Rebecca werden mir lange in Erinnerung bleiben – Rebecca vielleicht ein wenig länger. Eingebrannt hat sich bei mir Heidis verpfiffenes Finalspiel. Und wenn am Ende nur der Schiedsrichter in Erinnerung bleibt, spricht das meist nicht für den Anlass.