Die grosse Frage: Wie ist der «Islamische Staat» zu besiegen?

Aktualisiert

Die grosse FrageWie ist der «Islamische Staat» zu besiegen?

Genügen Waffenlieferungen an die irakischen Kurden im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat? Braucht es Bodentruppen? Die Ansichten der Experten gehen weit auseinander.

Ann Guenter
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Ann Guenter

Der Westen unterstützt die irakischen Kurden in ihrem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit Waffenlieferungen: Deutschland hat dies beschlossen und auch Frankreich, Grossbritannien, Italien sind dazu bereit. Die USA fliegen bereits Luftangriffe auf Stellungen des IS. Reicht das aus, um den IS zu besiegen? Das sagen verschiedene Terror- und Sicherheitsexperten dazu.

«Dem Vormarsch ist so nicht Einhalt zu gebieten»

«Der Westen liefert den irakischen Kurden hauptsächlich Defensivwaffen, die es den Peschmerga erlauben, ihren Abwehrkampf erfolgreich zu führen», sagt Kurt Spillmann, emeritierter Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an der ETH, zu 20 Minuten. «Dem Vormarsch der IS-Kämpfer auf den weiten Ebenen ist so nicht Einhalt zu gebieten. Eine internationale Koalition müsste auf mobile Mittel am Boden und Angriffe aus der Luft setzen.»

Peter Neumann vom Londoner King's College ist gegen den Einsatz von Bodentruppen. Das gäbe dem IS nur die Möglichkeit, sich als Befreiungskämpfer gegen den Westen und die USA darzustellen. «Das war der Fehler, der bei der Irak-Invasion 2003 gemacht wurde», sagt er zur «Süddeutschen Zeitung».

«Wer den IS auf Dauer besiegen will, kommt um Bodentruppen nicht herum», ist Markus Kaim überzeugt. Mit den Waffenlieferungen wolle Deutschland ein Patt im Irak erreichen. «Das kann politisch aber kein dauerhaftes Ziel sein», sagt der Experte für Sicherheitspolitik in der «Wirtschaftswoche». Wie Spillmann schränkt auch er ein: «Militäreinsätze oder Waffenlieferungen sind völlig sinnlos, wenn sie nicht mit einer politischen Initiative einhergehen.»

Wer müsste Bodentruppen stellen?

«Um den Einsatz von Bodentruppen drängt sich im Westen niemand», sagt Kurt Spillmann. «Und selbst wenn: Es wäre nur logisch, wenn die benachbarten Staaten die Federführung bei einer Bodenoffensive hätten. Und damit meine ich nicht nur die schiitischen Staaten wie den Iran, sondern auch die sunnitischen Staaten wie Ägypten oder die arabischen Länder.» Dazu vermisst er gemässigte islamische Stimmen, die die Gräueltaten des IS öffentlichkeitswirksam verurteilen - ob diese nun aus der europäischen Diaspora oder aus den islamischen Staaten selbst kommen. «Doch statt darauf zu pochen, mehren sich im Westen die Stimmen, die auf Bodentruppen drängen. Dabei ist klar, dass nur die internationale Gemeinschaft als Ganzes etwas gegen den Fundamentalismus unternehmen kann.»

Spillmann bezweifelt, dass die USA im Nahen Osten alleine eingreifen werden. «Der Ruf als Weltpolizist hat ihnen nur Undank eingehandelt. Vor allem aber sind die USA von der Erdölzufuhr aus Nahost unabhängiger geworden, seit sich im eigenen Land das Fracking durchgesetzt hat. Somit entfällt die Notwendigkeit, in der Region als Sheriff aufzutreten.»

Gerade die USA kommen nicht darum herum, im Irak einzugreifen, meint dagegen Rolf Tophoven. «Egal ob Präsident Obama das will oder nicht - letztendlich werden die USA in den Irak zurückkehren müssen, wenn sie nicht zulassen wollen, dass sich in der Region ein Flächenbrand ausbreitet», sagt der deutsche Terrorismusexperte auf Focus.de.

Das sieht auch Terrorforscher Neumann so: Die US-Luftangriffe hätten eine Konfrontation mit dem Islamischen Staat lediglich beschleunigt. «Eines Tages wäre IS so gross und mächtig geworden, dass die Amerikaner ohnehin hätten eingreifen müssen. Es war immer eine Illusion zu glauben, dass sich die USA wegducken können», wenn im Herzen des Nahen Ostens ein Kalifat errichtet werde, sagt er in der «Süddeutschen Zeitung».

Die Verantwortung liege auch bei der EU, sagt Sicherheitsexperte Kaim: «Die EU könnte einen Beitrag leisten, beispielsweise mit den EU Battle Groups, die genau für solche Zwecke - humanitäre Hilfe, Trennung von Konfliktparteien - geschaffen wurden. Das sind zweimal 1500 Mann. Denkbar wäre auch ein Nato-Einsatz oder eine Koalition der Willigen wie in Libyen. Auch ein UN-geführter Einsatz ist möglich.»

Wie sehen die nächsten Schritte im Kampf gegen IS aus?

Der UNO-Sicherheitsrat hat die Taten des IS als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits verurteilt. Doch «nun muss es weitergehen», fordert Markus Kaim. «Erstens brauchen wir ein Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, also eine internationale Legitimation. Zweitens müsste man eine militärische Truppe zusammenstellen, die den IS direkt bekämpft.» Der IS als militärische und politische Kraft könne nur mit einer umfassenden internationalen Strategie ausgeschaltet werden - eine Strategie, die sowohl Syrien als auch den Irak umfasse.

Kurt Spillmann sieht hier ein Problem: Andere Konflikte verhinderten die Bildung einer geschlossenen, internationalen Front gegen IS. «Auch Russland und China haben grosse Probleme mit fundamentalistischen Gruppen. Doch China steht den USA und Japan im Streit um Teile des rohstoffreichen Südchinesischen Meers gegenüber. Und Russland steht Europa im Ukraine-Konflikt gegenüber. Diese beiden Konflikte spielen dem IS indirekt in die Hände.»

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