Jagd auf Patientendaten: Wie Pharma-Multis den Absatz optimieren

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Jagd auf PatientendatenWie Pharma-Multis den Absatz optimieren

In Deutschland fischen Berater von Novartis & Co. in Arztpraxen nach Daten, um ihre Medikamente besser zu vermarkten. Patientenschützerin Margrit Kessler ist alarmiert.

Sabina Sturzenegger
von
Sabina Sturzenegger
Patientendaten: Sollten nur dem Arzt zugänglich sein.

Patientendaten: Sollten nur dem Arzt zugänglich sein.

Wer etwas verkaufen will, braucht heute Konsumentendaten. Einige sammeln diese offensichtlicher als andere: Coop und Migros zum Beispiel gelangen über die Supercard oder die Cumuluskarte an die wertvollen Informationen, wer was wie oft und wo kauft.

Doch auch Pharmaunternehmen sind immer mehr daran interessiert, zu wissen, was die Patienten wie oft und warum schlucken. Oder wie es das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» schreibt: «Nur wer weiss, welche Ärzte beispielsweise Patienten mit Neurodermitis behandeln, hat eine Chance, Medikamente gegen Hautausschlag loszuwerden – und die Mediziner dazu zu animieren, mehr Produkte zu verordnen. Ein Unternehmen, das seinen Vertrieb verbessern möchte, braucht also möglichst genaue Informationen über das Verschreibungsverhalten der Ärzte.»

Interne Unterlagen von Novartis

Der «Spiegel» besitzt interne Unterlagen aus der Deutschland-Zentrale des Schweizer Pharmaunternehmens Novartis, die zeigen, wie sich die Arzneimittelhersteller diese Daten beschaffen. Novartis vermittle den Medizinern den Kontakt zu einem externen «Sachverständigen für ärztliche Abrechnung» in einem ungenannten deutschen Unternehmen. An diesen sollen die Ärzte ihre Patientendaten schicken. «Dieser wertet die Daten gegen ein Honorar von 119 Euro aus und liefert dem Arzt Tipps», wie er mehr Geld aus seiner Praxis herausholen kann.

Der Berater könne dem Arzt aber auch dabei helfen, «die Patientendaten vom Computer auf einen USB-Stick zu ziehen.» Wie viele deutsche Mediziner ihre Datensätze mit Hilfe von Novartis bereits an den Abrechnungshelfer in Halle geliefert haben, ist dem «Spiegel» zwar nicht bekannt. Belegbar sei aber, dass Novartis «dem selbsternannten Abrechnungsoptimierer» nicht nur Kunden vermittelt, sondern ihn auch auf seiner Honorarliste führt.

Novartis Deutschland weist diesen Sachverhalt zurück: «Ärzte haben ein berechtigtes Interesse und auch das Recht, sich vor möglichen Regressforderungen zu schützen. Sie können und dürfen dabei auf die Beratung von Experten zurückgreifen. Selbstverständlich sind keinerlei Daten an Novartis gegangen», schreibt Sprecher Satoshi Sugimoto. Ähnliche Dienste würden in der Schweiz nicht angeboten.

Keine Unternehmensberater in der Praxis

Für die Schweizer Patientenschützerin Margrit Kessler gehören Unternehmensberater hingegen nicht in eine Arztpraxis. «Der Bericht ist alarmierend, und zeigt, dass es neue, kreative Arten gibt, die es - wem auch immer - ermöglichen, an Patientendaten zu gelangen», sagt sie. Für Kessler ist es deshalb wichtig, jetzt die Ärzte selber wachzurütteln und in die Pflicht zu nehmen: «Viele Hausärzte sind in dieser Beziehung ahnungslos. Deshalb sollen sie keine fremden Unternehmensberater in die Praxis und an ihren Computer lassen», fordert sie.

Klare Verletzung des Arztgeheimnisses

Für die Schweizer Standesvertretung der Ärzte, die FMH, wäre das auch «eine klare Verletzung des von Strafgesetzbuch und Standesordnung garantierten Arztgeheimnisses», wie Hanspeter Kuhn, stellvertretender FMH-Generalsekretär sagt.

Dass Ähnliches in der Schweiz möglich wäre, glaubt Kuhn indes nicht. «Wir haben hierzulande keine Kenntnis von solchen Praktiken der Pharmafirmen», sagt er. Die Ausgangslage sei verschieden. «Bei uns geht die Arztrechnung an den Patienten», erklärt Kuhn. Damit die Krankenkasse eine vom Patienten an sie weitergeleitete Rechnung trotzdem elektronisch abholen könne, übermitteln die Ärzte die Rechnungsdaten an eines der elf ärztlichen TrustCenter.

Schweizer Ärzte können zudem ihre Abrechnungen optimieren - ohne externen Berater. Die TrustCenter betreiben die Plattform «Praxisspiegel», über die der Arzt sich selbst anonymisiert mit seinen Kollegen vergleichen kann. Diese Plattform ist vom Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten kontrolliert und bewilligt worden.

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