Türkischer Minister in Hamburg«Wir beugen uns nur vor Gott»
Der türkische Aussenminister Cavusoglu ist doch noch in Deutschland aufgetreten. Dabei hat der Chefdiplomat das Gastgeberland verbal grob attackiert.
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Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu hat Deutschland bei seinem Auftritt in Hamburg scharf angegriffen. Deutschland verfolge eine «systematische Gegnerschaft zur Türkei», sagte Cavusoglu laut einer Simultanübersetzung des Fernsehsenders n-tv am Dienstagabend.
Zuvor in der Türkei tat es der Aussenminister seinem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gleich und zog einen Vergleich zur Nazi-Zeit. «Das ist ein total repressives System», sagte Cavusoglu der Zeitung «Hürriyet» (Online). «Alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit.»
Keine «Lektionen in Menschenrechten und Demokratie»
Türkische Staatsbürger würden in Deutschland «systematisch unterdrückt», sagte Cavusoglu unter dem Jubel seiner Anhänger vor der Residenz des türkischen Generalkonsuls in der Hansestadt. Dies sei inakzeptabel. Er verbat sich «Lektionen in Menschenrechten und Demokratie» seitens der Bundesrepublik. Gleichzeitig betonte der, dass er an guten Beziehungen zwischen beiden Ländern interessiert sei.
Cavusoglu war in die Residenz ausgewichen, nachdem ein Auftritt am ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungsort wegen einer fehlenden Brandmeldeanlage untersagt worden war. Die Polizei hatte die Residenz abgeriegelt. In der Nähe demonstrierten zugleich rund 100 Menschen gegen die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Bei der Ankunft Cavusoglus skandierten sie: «Hau ab, hau ab.»
«Probleme mit Islamfeindlichkeit»
Cavusoglu hatte ursprünglich am Dienstagabend in einer Hochzeitshalle im Stadtteil Wilhelmsburg vor hunderten Landsleuten auftreten wollen, um für die Einführung des umstrittenen Präsidialsystems zu Gunsten von Staatschef Erdogan in der Türkei zu werben. Dazu gibt es im April eine Referendum, bei dem auch in Deutschland lebende Türken abstimmen dürfen. Die Behörden beanstandeten bei der Begehung jedoch erhebliche «brandschutzrechtliche Mängel» und untersagten die Veranstaltung daher.
Der Aussenminister sprach letztlich von einem Balkon der Residenz des Generalkonsuls aus. Mit diesen Behinderungen könne die türkische Regierung nicht aufgehalten werden, sagte der türkische Minister, der seinen Anhängern Grüsse Erdogans überbrachte. «Wir beugen uns nur vor Gott, sonst vor niemanden», fügte er hinzu und rief die Deutschen auf: «Bitte kehrt ab von diesen falschen Verhaltensweisen.»
Europa habe grosse Probleme mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit, sagte der türkische Aussenminister weiter. In Europa gebe es auch eine systematische Kampagne gegen die Türkei und ihren Präsidenten. Zugleich unterstütze Europa alle Formen des Terrorismus' gegen die Türkei.
Treffen mit Aussenminister Gabriel
Werbeauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland sorgen seit Tagen immer wieder für Wirbel. Schon mehrfach untersagten die zuständigen kommunalen Aufsichtsbehörden Veranstaltungen wegen Sicherheitsrisiken. Die türkische Regierung kritisierte dies scharf – unter anderem mit den erwähnten Nazi-Vergleichen.
Cavusoglu kündigte an, bei einem Treffen mit Bundesaussenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Mittwochmorgen über das deutsch-türkische Verhältnis zu sprechen. «Wir müssen darüber reden, wie wir künftig miteinander umgehen wollen.»
Deutscher Innenminister: «Ein verantwortungsloses Vorgehen»
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel rief angesichts des Streits zu Souveränität im Umgang mit der Türkei auf. Deutschland müsse den Konflikt mit Ankara um Wahlkampf-Auftritte türkischer Minister im Land aushalten, sagte die Kanzlerin am Dienstag in einer Unionsfraktionssitzung in Berlin nach Teilnehmerangaben. Es sei nicht klug, wenn Deutschland der Türkei die Einschränkung der Meinungsfreiheit vorwerfe und dann mit Einschränkung der Meinungsfreiheit antworte, sagte Merkel.
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière sagte in der Sitzung, dass Erdogan bewusst Provokationen anfache, um die Wahlbeteiligung der in Deutschland lebenden Türken zu erhöhen. Das Präsidialsystem würde die Macht des türkischen Parlaments deutlich schwächen.
Nach Ansicht der Türkischen Gemeinde schadet der Streit um die Wahlkampf-Auftritte vielen Türken in Deutschland. Die türkische Regierung transportiere mit unbegründet harter Sprache Bedrohung und Verleumdung.
«Es handelt sich um ein verantwortungsloses Vorgehen, das die türkeistämmigen Menschen in Deutschland, ganz unabhängig von ihren jeweiligen türkeipolitischen Einstellungen, um ihre verbesserten Perspektiven bringt», kritisierte die Gemeinde am Dienstag in einem offenen Brief an beide Regierungen. Die türkische Gemeinschaft in Deutschland zahle den Preis «für dieses sinnlose populistische Anheizen». (mch/sda/afp)