Vierfachmord von Rupperswil: «Wir hätten diese Tat nicht verhindern können»

Aktualisiert

Vierfachmord von Rupperswil«Wir hätten diese Tat nicht verhindern können»

Thomas N. war vor seiner Tat Fussballtrainer. Roland Wenger, Sprecher der betroffenen Clubs, sagt, wie man die schwierige Zeit verarbeitet hat und welche Strafe er sich erhofft.

Jennifer Furer
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Jennifer Furer

Über den Vierfachmord von Rupperswil hat 20 Minuten einen Dokumentar-Film gedreht. (Video: Murat Temel und Jennifer Furer)

Im März muss sich der geständige Thomas N. vor dem Bezirksgericht Lenzburg wegen des Vierfachmords in Rupperswil verantworten. Was erhoffen Sie sich für eine Strafe?

Als Bürger dieses Landes wünsche ich mir nichts anderes als eine lebenslange Verwahrung. Das ist meine persönliche Meinung, die muss nicht für alle Leute gültig sein.

Werden Sie am Prozess sein?

Das ist nicht ganz sicher. Man musste sich ja dafür anmelden, was ich gemacht habe. Ich wäre dort, weil ich der Sprecher der involvierten Vereine bin. Wir wissen alle nicht, wie diese im Prozess thematisiert werden. Wenn es dort Fragen gäbe, könnte ich diese beantworten.

Wenn Thomas N. Ihnen in die Augen schauen würde, was wäre das für ein Gefühl?

Ich hätte keine Angst, wenn wir Blickkontakt hätten. Aber es wäre falsch, wenn ich sagen würde, dass dies kein beklemmendes Gefühl wäre. Es ist nun mal so, dass ich diesen Menschen gekannt und mit ihm zusammengearbeitet habe.

Nachdem Sie Distanz zu der Tat nehmen konnten: Wie gehen Sie heute damit um?

Man denkt sicher manchmal daran. Weil man diesen Menschen gekannt und er etwas Schreckliches getan hat. Es wäre aber gelogen, wenn ich sagen würde, dass es mich jeden Tag beschäftigt. Man versucht es auch irgendwie zu verdrängen.

Haben die Geschehnisse Ihr Leben geprägt?

Mein Leben hat sich nicht um 180 Grad gedreht. Ich habe gelernt und weiss jetzt umso mehr, dass man eine Person zwar kennen, aber nie ganz in sie reinschauen kann. Es ist immer möglich, dass ein Mensch etwas tut, was man ihm unter keinen Umständen zutraut. Aber klar, die Tat ist eine schlimme Geschichte, die an Tragik einmalig ist in der Schweiz. Dass das Thema im März wegen des Prozesses mehr im Fokus stehen wird, ist auch klar.

Wie hat die Tat Sie persönlich verändert?

Sie hat mir nicht das Vertrauen in die Menschheit oder zu meinem Umfeld genommen. Aber es hat mir vor Augen geführt, dass man einen Menschen nicht durch und durch kennen kann. Alles andere ist ein Verarbeitungsprozess.

Wie hat die Tat die beiden involvierten Fussballclubs verändert?

Zwei bis drei Monate hat es sie sicher geprägt. Zu dieser Zeit haben wir alle häufig darüber gesprochen. Wir haben uns überlegt, ob wir das Gebilde aus den zwei involvierten Vereinen umbenennen wollen. Es spielten auch Überlegungen mit, dass die Fussballer auf Thomas N. und die Tat angesprochen oder deswegen gar gehänselt würden. Das ist aber zum Glück nie passiert, da muss ich allen Mitstreitern auf dem Platz ein grosses Kompliment machen. Die Jungs sind nie angegangen worden. Nach einer gewissen Zeit hat der Verein dieses Thema ad acta legen können. Die einen haben dafür länger benötigt, die anderen weniger lang. Die Vereine haben das alles aber insgesamt gut gemeistert.

Wie war die Situation für die Fussballjunioren?

Gewisse Junioren hatten zu Thomas N. ein Vertrauensverhältnis, weil er der Chef unserer Auswahlmannschaft war. Die Nachricht, dass er diese Tat begangen haben soll, war natürlich erschütternd für sie. Sie waren bestürzt und traurig. Einige kamen für eine Zeit lang nicht mehr ins Training. Heute sind aber wieder alle da, alle konnten es irgendwie verarbeiten.

Wie konnten Sie als Verein den Fussballern in dieser schwierigen Zeit beistehen?

Indem wir sie möglichst schnell wieder in den Trainingsbetrieb integriert und ihnen den Spass am Fussball wieder nähergebracht haben. Wir haben ihnen gesagt, dass es tragisch sei, was passiert ist, das Leben aber weitergehen müsse. Leider können wir nicht ändern, was passiert ist. Wir haben den Fussballern auch gesagt, dass Thomas N. niemals wieder auf diesen Platz zurückkehren wird. Da wir zwei sehr gut funktionierende Vereine sind, ist uns die Verarbeitung dieser Geschehnisse meiner Meinung nach gut gelungen.

Haben Sie sich Vorwürfe gemacht, dass Sie sich in Thomas N. so getäuscht haben?

Nachdem bekannt wurde, dass Thomas N. der Täter ist, kamen Selbstzweifel auf. Man fragt sich, ob man etwas hätte tun können, ob man etwas hätte merken müssen. Aber mit Distanz zum Vorgefallenen komme ich klar zum Schluss: Nein, wir haben das nicht merken können. Es war etwas, das jenseits aller Vorstellungskraft liegt. Es gibt nichts, was wir als Verein hätten beitragen können, um dieses Verbrechen zu verhindern.

Hat sich Thomas N. nach der Tat und vor der Verhaftung anders verhalten?

Gegenüber Vereinsmitgliedern hat er sich nicht auffällig verhalten. Er begutachtete die Mannschaften wie immer, gab zum Teil auch Trainings. Er hat in keinster Weise den Eindruck gemacht, dass er für so eine Tat verantwortlich ist. Als Leute am Spielfeldrand über das Tötungsdelikt gesprochen haben, hat er schockiert reagiert und gesagt, wie schrecklich dieses sei. Er hat sich dabei aber nie selber in den Vordergrund gestellt oder Andeutungen gemacht, dass er irgendetwas weiss, was die breite Öffentlichkeit nicht weiss.

Als in der Pressekonferenz vom 13. Mai 2016 bekannt wurde, dass ein 33-jähriger Rupperswiler der Täter ist, wussten Sie dann, dass es sich um Thomas N. handelt?

Die Pressekonferenz war am Nachmittag um 15 Uhr. Zu dieser Zeit wusste ich es noch nicht. Ich habe dann mit ein paar Kollegen aus Rupperswil Whatsapp-Nachrichten ausgetauscht und gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, wer es ist. Niemand hatte eine Ahnung. Am Abend ging ich nach Hause. Um etwa 19 Uhr hat mich der Präsident des Fussballclubs angerufen und mich darüber informiert, wer der Täter ist.

Wie war das für Sie?

Das war ein unvorstellbarer Moment. Da sitzt man zuerst aufs Sofa und überlegt, was das jetzt heissen könnte — für den Verein, für einen ganz persönlich. Gedanken gehen dann in alle Richtungen, eigentümlich wirr. Und dann kommen Flashbacks auf.

Können Sie diese Gedanken beschreiben?

Man hat sich an die Zeit zurückerinnert, die man gemeinsam verbracht hat. Beispielsweise, als wir zusammen Juniorenlager organisiert haben oder zusammen an einem Tisch gesessen und Gesellschaftsspiele gespielt haben. Es war unvorstellbar. Ich war schockiert.

Wie würden Sie Thomas N. heute beschreiben?

Wenn ich jetzt sage, dass er ganz normal war, tönt das fast ein wenig absurd, das weiss ich. Aber er war ganz normal. Er hat seine Arbeit bei uns hervorragend, akribisch und mit viel Einsatz gemacht. Thomas N. hat sich fussballerisch sehr gut um die Junioren gekümmert. Er war aber auch ein zurückhaltender Mensch.

Thomas N. hatte kinderpornografisches Material auf dem Computer. Was war der erste Gedanke und was hat der Fussballclub gemacht?

Als wir das vernommen haben, war der Fall für die involvierten Clubs bereits abgeschlossen. Wir hatten selbstverständlich Angst, dass auch bei uns irgendetwas passiert ist. Das wäre verheerend gewesen. Wir waren froh und erleichtert, als sich herausgestellt hat, dass in unserem Verein nichts passiert ist. Dadurch sind wir auch darin bestätigt worden, dass wir keine Fehler gemacht haben. Wir hatten einfach Pech, dass Thomas N. bei uns Trainer war und wir darum plötzlich in den Fokus gerieten.

Wie können Sie sich erklären, dass Thomas N. sich im Fussballclub trotz seiner offenbar pädophilen Neigung zurückhalten konnte?

Das ist schwierig für mich zu beantworten. Thomas N. ist zum ersten Mal bei der Tat in Rupperswil straffällig geworden. Ich weiss wirklich nicht, was in so einem Menschen vorgeht.

Dokumentarfilm gedreht. Der Video-Journalist Murat Temel und die Reporterin Jennifer Furer haben im Vorfeld des Prozesses die Schauplätze der Tat besucht, mit involvierten Personen gesprochen und den Fall nochmals aufgerollt.

Sehen Sie den Film oben in diesem Artikel oder hier.

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