Salon Public: «Wir müssen lernen, Unrecht zu haben»

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Salon Public«Wir müssen lernen, Unrecht zu haben»

Er wurde als «Digital Jesus» und «Rock’n’Roll Plato» bezeichnet. Am Freitag ist Anders Indset Gastsprecher am Salon Public. Ein Interview über E-Autos, Digitalisierung und die Zukunft der Menschheit. 

von
Jan Graber
Intelligente Inszenierung: Der norwegische Philosoph und Publizist Anders Indset sorgt nicht nur mit seinem Kleidungsstil für Aufmerksamkeit.

Intelligente Inszenierung: Der norwegische Philosoph und Publizist Anders Indset sorgt nicht nur mit seinem Kleidungsstil für Aufmerksamkeit.

Jeff Mangione

Darum gehts

Wir sind Zukunft: Die Elektromobilität startet derzeit durch. Wird sie auch in Zukunft dominieren?

Anders Indset: Wenn wir von Autos als Mobilitätslösung ausgehen, setzen Anbieter auch auf Brennstoffzellentechnologie oder sagen ein Zeitalter des Wasserstoffautos voraus. Neben Marktkräften und dem Zugang zu Rohstoffen spielt das Tempo der technologischen Entwicklung eine wichtige Rolle, zum Beispiel der Leistung von Batterien, des Ausbaus von «Ladestrassen» oder der Energieeffizienz von Wasserstoff. Je stärker die Bereitschaft ist, in Technologie und Forschung zu investieren, desto mehr Alternativen sind in der jetzigen Phase des Wandels denkbar. 

Wo sehen Sie Probleme bei der Elektrifizierung und der Digitalisierung?

Grosse Probleme sind das nicht vorhandene Verständnis des Wandels und die mangelhaften Investitionen in Infrastruktur und Technologie über die letzten Jahrzehnte. Auf einer Metaebene geht es um eine letzte narzisstische Kränkung der Menschheit wegen der massiven Verletzung unseres Selbstwertgefühls. 

Was meinen Sie mit «narzisstische Kränkung»?

Es geht um den Irrglauben, dass wir eine posthumane Hypertechnologie erschaffen können, die alles besser kann als wir. Die gesellschaftliche Herausforderung liegt darin, dass die Technologie zu gut wird, wir das aber nicht erkennen und in unserem unbewussten Streben nach einer «Digitalen Transformation» nicht verstehen. Die Verlagerung der Autorität zu Algorithmen ist eine neue Herausforderung für die Menschheit. Das betrifft auch das autonome Fahren.

Autonomes Fahren bedeutet also einen Verlust der Freiheit.

Meine persönliche Form der Freiheit wäre es, nicht im Stau Zeit zu verlieren oder überhaupt ein Auto zu besitzen. Autofahren ist heute bereits für viele ein Automatismus, der Fokus dabei wandert zunehmend zum Gerät in der Hand und weg von der Strasse. Ich bin mir nicht sicher, ob «Auto» heute noch die Definition von Freiheit ist.

Anders Indset

Wo liegen die Herausforderungen beim autonomen Fahren?

Mit der vorhandenen Technologie ist autonomes Fahren deutlich sicherer geworden. Weil es aber um Menschenleben geht, herrscht in Bezug auf die Algorithmen Nulltoleranz für Fehler. Es muss ein internationaler Rechtsrahmen geschaffen und permanent angepasst werden. Am Ende handelt es sich auch um eine philosophische Herausforderung – mit einer Optimierung hin zu «besseren» Problemen.

Digitalisierung, die Vernetzung von Fahrzeugen, autonomes Fahren: Wie kann man sich den Strassenverkehr der Zukunft vorstellen?

In einem idealen Szenario würden alle Fahrzeuge identisch aussehen. Hierzu gibt es auch bereits Konzepte für Formen, die sich eignen. Dazu wäre der Datenaustausch über ein zentrales System in Echtzeit von grossem Vorteil. Die Mobilität würde so auf das Innenleben dieser «Fortbewegungs-Box» begrenzt. Mit den vorhandenen Marktakteuren ist dies aber eher unwahrscheinlich. Der Wechsel von Antrieb und Steuerung wird so zu einer dauerhaften Optimierung, die Jahrzehnte dauern wird. 

Könnte der rasende technologische Fortschritt die Gesellschaft spalten?

Technologie ist nicht per se das Problem. Der Drang zur permanenten Optimierung führt aber zu einer Zentralisierung von Ökonomie und Technologie, wovon einzelne Teile der Bevölkerung überproportional profitieren. Das Problem ist primär ein mangelndes Grundverständnis von Ökonomie, Ökologie und vor allem Technologie, um rechtzeitig die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir brauchen ein Verständnis für Wandel und einen holistischen Blick auf die Entwicklung zur Gesellschaft von morgen.

Inwiefern verändert sich das Selbstverständnis der Menschen durch die Entwicklung?

Es geht um Optimierung und absolutes Wissen. Wir haben ein binäres Denken in unserem Leben adaptiert, in dem es nur noch um null oder eins geht – deine Meinung versus meine Meinung. Wir haben die «Kunst, Recht zu haben» perfektioniert. Damit sind wir zunehmend in unseren eigenen Selbstverständlichkeiten gefangen. Deshalb müssen wir «die Kunst, Unrecht zu haben» lernen.

Wie soll dies erreicht werden?

Dem Selbstverständnis muss mit einem Bildungsauftrag, wenn man so will, mit einer neuen Aufklärung begegnet werden. Das setzt eine Offenheit für andere und bessere Ideen voraus. Nur wenn es gelingt, uns aus der eigenen Selbstverständlichkeit zu befreien, kann eine Gesellschaft des Verstandes entstehen. Es ist die Grundvoraussetzung für technischen Fortschritt, von dem die Menschen profitieren.

Kann uns die Technologie aus dem Schlamassel holen?

Die Technologie kann uns retten. Aber nur, wenn wir die Probleme besser beschreiben können und im Gesamtkontext verstehen. Unser Ziel ist nicht, Probleme in ihrer Absolutheit zu lösen, sondern permanent nach besseren Problemen zu streben.

Wo sehen Sie die grössten Chancen und Gewinne?

Die Strassen und unsere Mobilität werden effizienter und sicherer. Profiteure werden die grossen Automobilherstellenden sein, die bereits über hohe Etats für Forschung und Entwicklung verfügen. Die besseren Produkte werden höchstwahrscheinlich von denen gestaltet, die sich heute trauen, Investitionen zu tätigen und eine neue Leistungskultur zu etablieren. Traurig aber ist aus heutiger Sicht, dass Wohlstandsregionen noch deutlicher von diesem Fortschritt profitieren. Die Kluft zwischen Reich und Arm nimmt zu.

Welche gesellschaftlichen Anstrengungen sind neben den technischen Lösungen notwendig?

Die Geschwindigkeit nimmt zu, wir brauchen Handlungshelden: Nicht das Erreichen von absoluten Zielen ist heldenhaft, sondern die Handlung selbst – die Tat. Die Offenheit zum Lernen und der Wille zur Wahrheit sind die Grundlagen für die Verlängerung des organisierten menschlichen Lebens – mit oder ohne Technologie.

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