Gasmangel im WinterWegen drohender Stromkrise – «Wir müssen Verzicht lernen»
Viele Leute rechnen nicht damit, dass sie im Winter tatsächlich frieren müssen. So oder so würden die Schweizer Verzicht lernen müssen, sagt Soziologe Ueli Mäder.
- von
- Claudia Blumer
Darum gehts
Der Strom könnte knapp werden. Energie-Ministerin Simonetta Sommaruga sagte schon vor Wochen, dass der Bundesrat für den Winter mit einer Gasknappheit rechnet. Auch beim Strom könne man einen Mangel nicht ausschliessen.
Zwar galt zunächst noch der Grundsatz, dass Privathaushalte erst zuletzt sparen müssten, dass in erster Linie Gewerbe und Industrie den Mangel spüren würden. «Rolltreppen und Leuchtreklamen» würden zuerst abgestellt, sagte Sommaruga. Doch dies wird zunehmend in Frage gestellt. So fordert Stefan Wolf, Vertreter der deutschen Metallindustrie, dass das Gas im Notfall zugunsten der Industrie umverteilt wird und Büros weniger geheizt werden.
Leute rechnen nicht mit Mangel
Eine nicht repräsentative Umfrage von 20 Minuten zeigt: Viele Leute rechnen nicht damit, dass wir im Winter tatsächlich frieren, zeitweise nicht mehr kochen können oder kein Licht mehr brennt. Von gut 12’000 Teilnehmenden glaubt deutlich mehr als die Hälfte, es werde übertrieben und sie vertrauten darauf, dass die Behörden das Problem in den Griff bekommen.
Ueli Mäder, Soziologe und emeritierter Professor an der Universität Basel, erstaunt dieser Befund nicht. Wir Schweizer seien bisher von Krisen und Mangellagen weitgehend verschont geblieben und hätten deshalb das Gefühl, das gehe immer so weiter, sagt er. «Wir sind wie eine privilegierte Insel. Doch es wird nicht immer so weitergehen, es muss sich etwas verändern.» Wir, das heisst, die Bevölkerung der westlichen Industrienationen, müssten uns darauf einstellen, zu verzichten, bescheidener zu leben und weniger Ressourcen zu verbrauchen. «Wir hauen seit Jahren über die Schnur und leben so, als ob die Ressourcen unendlich wären.»
Müssen wir unsere Lebensgewohnheiten ändern?
Deshalb könnte eine Stromlücke im Winter der Start einer neuen Lebenseinstellung sein, sagt Mäder. «Wir merken dann vielleicht, was wirklich wichtig ist im Leben. Dass es auch mit weniger Konsum und Kommerz geht, vielleicht sogar noch besser.» Doch er wolle die Situation nicht schönreden. «Leid tun mir sozial Benachteiligte, die eng wohnen, wenig verdienen und sich heute schon nach der Decke strecken müssen.»
Zudem werde es Leute geben, die schlecht damit umgehen können, wenn im Winter nur noch 15 Grad Celsius herrscht in den eigenen vier Wänden. «Das sind teilweise Leute, die schon heute wenig tolerant sind, wenn der Zug ein wenig Verspätung hat oder wenn ein gewisses Produkt gerade nicht im Regal steht.» Viele Leute hingegen würden mit Strom-Engpässen gut umgehen können und sie sogar zum Anlass nehmen, grundsätzliche Änderungen am eigenen Lebensstil vorzunehmen, sagt Mäder.
Solidarität könnte schwinden
Joel Berger, Soziologe an der Universität Bern, glaubt nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer besonders krisenresistent sind. Der Grund sei der Individualismus, der in westlichen Industrienationen besonders ausgeprägt sei und auch seine guten Seiten habe. Die Freiheit des Einzelnen ist gross. Umso geringer sei die Bereitschaft, für gemeinsame Ziele Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.
Berger rechnet damit, dass dann auch die Solidarität mit der Ukraine sinken könnte. «Möglich, dass dann die Forderungen von rechts, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, mehr Unterstützung bekommen, wenn die Leute tatsächlich frieren zuhause oder wenn das Licht vorübergehend ausgeht.»
Kältere Wohnung geht, kalt duschen nicht
Eine Strassenumfrage von 20 Minuten zeigt, dass tiefere Temperaturen in der Wohnung für manche kein grosses Problem wären. «Ich wäre nicht entsetzt. Dann zieht man sich halt ein bisschen wärmer an», sagt Kommunikationsfachfrau Anna. Und Vorsorgeberater Marco: «Ich schlafe auch mit offenem Fenster und habe nur eine dünne Decke zum Schlafen. Temperaturtechnisch wäre es nicht so ein Problem, muss ich sagen.»
Mit einer kalten Dusche hingegen hätten die Befragten mehr Mühe. «Das wäre schon schwieriger», sagt Marco.
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