Vor SolidaritätsdemosWladimir Putin redet zur Nation – gleichzeitig lässt er im Land Menschen verhaften
Kremlchef Wladimir Putin hielt in Moskau seine Rede an die Nation. Mit keinem Wort erwähnt wurde das Schicksal des inhaftierten Oppositionellen Nawalny oder die für heute Abend geplanten Solidaritätsdemonstrationen im ganzen Land.

Wladimir Putin ruft in seiner Rede an die Nation in Moskau die Bevölkerung zu Impfungen gegen das Coronavirus auf: «Nur so kann die tödliche Krankheit besiegt werden. Es gibt keinen anderen Weg».
Der russische Präsident Wladimir Putin hat in Moskau um 11 Uhr MEZ seine jährliche Rede zur Nation gehalten, vor hunderten Vertretern der politischen Elite des Landes, vor Vertretern aus Wirtschaft, Kultur und Religion. Fast niemand trug den in Russland bei solchen Massenveranstaltungen vorgeschriebenen Mund- und Nasenschutz. Das Coronavirus war dennoch von Anfang an Hauptthema, wobei Putin die Bevölkerung aufrief, sich impfen zu lassen. Der 68-jährige Präsident selbst hatte in der vergangenen Woche nach eigenen Angaben die zweite Impfung gegen das Virus erhalten.
Gleich zu Anfang der Rede stellte Putin klar, dass er sich dabei mit inneren Angelegenheiten Russlands befassen wolle, vor allem mit der Gesundheitspolitik und der Wirtschaft. Er werde aber «einige Worte» zur nationalen Sicherheit und internationalen Themen sagen. Dabei dürfte Putin ganz genau von den Spekulationen wissen, wonach er in der Rede auch grössere aussen- und sicherheitspolitische Schritte ankünden könnte. Anlass dazu gäbe es genug: der massive russische Truppenzusammenzug entlang der ukrainischen Grenze etwa, die politische Krise beim Nachbar Belarus, das miese Verhältnis zum Westen.
Am Schluss der gut einstündigen Rede zeigte sich, dass es zu keiner dramatischen Ankündigung kommen sollte, die Rede sei «ziemlich trocken» gewesen und habe sich tatsächlich vor allem um Innenpolitisches und den Kampf gegen die Corona-Pandemie gedreht, so ein Kommentator von «Radio Free Europe».
Verhaftungen und Durchsuchungen in mindestens 20 Städten
Während Putin in Moskau sprach, kam und kommt es noch immer zu Verhaftungen im Land. Denn am Abend sind in mehr als einhundert russischen Städten Demonstrationen für die Freilassung des inhaftierten und gesundheitlich angeschlagenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny geplant. Bereits am Vorabend hatten Beamte in St. Petersburg Nawalnys Vertrauten Ljubow Sobol und dessen Sprecherin Kira Jarmysch festgenommen und es war nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OWD-Info in mindestens 20 Städten im Land zu Durchsuchungen und Festnahmen gekommen.
Diese laufen auch jetzt weiter, wie Videoaufnahmen aus der Hafenstadt Magadan weit im Osten des Landes zeigen. Hier versammelten sich die Menschen wegen der Zeitverschiebung bereits jetzt auf der Strasse und wurden deswegen von Sicherheitskräften angegangen.
Die Solidaritäts-Demonstrationen für Nawalny sind für Mittwochabend angekündigt. Offenbar haben sich über 466’000 Personen für die Solidaritätsaktion registriert.
Es gehe nicht mehr nur um die Freiheit des Oppositionellen, sondern «um sein Leben», schrieb der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow in einem Aufruf. Nawalnys Gesundheitszustand hat sich nach Angaben seiner Unterstützer massiv verschlechtert, Ende März trat er in der Haft im Straflager in einen Hungerstreik, um Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung zu erhalten. Seine Ärzte warnten zuletzt vor der Gefahr eines Herzstillstandes bei dem 44-Jährigen.
Nawalny hatte im vergangenen August einen Giftanschlag überlebt, für den er den Kreml verantwortlich macht. Er wurde anschliessend in der Berliner Charité behandelt. Nach seiner Rückkehr nach Russland im Januar wurde er festgenommen und zu zweieinhalb Jahren Straflager verurteilt. Bei anschliessenden Protesten seiner Unterstützer waren mehr als 11.000 Menschen festgenommen worden.