Unsere Autorinnen zur Doppeladler-PoseWo ist das Herz der Secondos zu Hause?
Die Doppeladler-Diskussion hat erneut die Frage aufgeworfen, wo sich Secondos heimisch fühlen. Unsere Autorinnen beschreiben ihre Beziehung zur Schweiz.
- von
- qll/mon
Granit Xhaka hat sie gemacht, Xherdan Shaqiri auch: die Doppeladler-Pose. Die beiden schweiz-kosovarischen Nati-Spieler, die je ein Goal geschossen haben, haben damit die Diskussion nach dem Zugehörigkeitsgefühl und der wahren Heimat der Secondos neu entfacht. Unsere Autorinnen, die Schweiz-Kosovarin Qendresa Llugiqi und die Schweiz-Serbin Monira Djurdjevic erklären, was für sie Heimat bedeutet und was sie von der Doppeladler-Pose und der hitzigen Debatte halten.
Qendresa Llugiqi (27): «Man kann sich nicht zwischen Mutter und Vater entscheiden»

«Jetzt reicht es! Ständig wird von mir als Schweiz-Kosovarin erwartet, dass ich mich für ein Heimatland entscheide. Ich soll ‹klar Stellung› beziehen. Was Heimat für mich bedeutet? Zugehörigkeit. Es ist der Ort, wo man aufgewachsen ist, sich geborgen und verstanden fühlt. Meine ersten vier Lebensjahre habe ich teilweise in der Schweiz und im Kosovo verbracht, wo ich geboren wurde. Erst danach ist meine Familie hier sesshaft geworden. Dennoch sind wir mindestens einmal im Jahr in den Kosovo gereist, wenn möglich mehrmals. Natürlich hat die Schweiz in der Heimatwahl die Oberhand, weil ich mich hier mehr entfalten konnte, doch mein Herz wird den Kosovo nie vergessen können. Ein Bild, das ich oft verwende, um dieses spezielle Gefühl zu beschreiben, ist folgendes: Der Kosovo ist für mich wie die Mutter für ein Neugeborenes. Der erste Kontakt, die erste Liebe. Die Schweiz ist wie ein Vater: Im Austausch lernen sowohl er als auch das Baby, sich zu lieben, und das Baby weiss, dass es auch dort geborgen und willkommen ist. Vielleicht hat man einen Elternteil lieber, aber man wird nie zwischen ihnen entscheiden können.
Da weder der Kosovo noch Albanien (meine Familie stammte ursprünglich von dort) an der WM teilnimmt, kann ich meine ganze Fankraft auf die Schweiz fokussieren. Auch am Freitag habe ich mitgefiebert. Jedoch anders als gegen Brasilien. Das lag nicht etwa daran, dass der Gegner Serbien hiess oder an der Umdeutung, dass nun die Albaner gegen die Serben spielen – wie es im Vorfeld breit diskutiert worden war. Es lag schlicht daran, dass die Schweiz einen ebenbürtigen Gegner hatte, der unserer Nati Dampf gemacht und dem Spiel Pfeffer gegeben hat. Diese Darbietung war von der Lahmarschigkeit des ersten Gruppenspiels meilenweit entfernt. In diesem schnellen und kraftvollen Spiel konnten sich Emotionen entwickeln. Man litt mit, schrie, schimpfte und vergass komplett, dass man Nachbarn hat. Die Nati musste für das 2:1 bluten.
Nun gerät dieser Sieg aber in den Hintergrund. Stattdessen im Fokus: die Pose von Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri und Co. Ich bin ehrlich: Bereits als Xhaka den Doppeladler machte, dachte ich gleich, es wird Konsequenzen haben. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir aber noch nicht vorstellen, was für ein Beben dadurch ausgelöst wird. Natürlich war dieses Spiel politisch und emotional geladen. Das hat man ja im Vorfeld gesehen. Vermutlich ist das der Grund, warum die Posen nun heftiger diskutiert werden, als wenn sie bei einem anderen Spiel gezeigt worden wären. Klar ist: für Albaner ist der Doppeladler ein Zeichen der Zugehörigkeit, für andere eine Provokation. Da diese aber wiederum eine dieser Diskussionen ist, die endlos ist und egal, was man sagt, falsch ist, werde ich mich nicht weiter dazu äussern.
Wie auch immer die Pose gewertet wird, eines steht für mich fest: Ein Verrat an der Wahlheimat Schweiz ist sie kaum. Dass Xhaka und Shaqiri auch die Schweiz im Herzen tragen, hat sich bereits 2016 gezeigt, als der Kosovo von der Uefa und der Fifa aufgenommen wurde. Obwohl die albanischstämmigen Spieler von allen Seiten aufs Übelste beschimpft und bedroht wurden, sind sie weiterhin Teil der Schweizer Nationalmannschaft. Vermutlich geht es ihnen genauso wie mir, wie zu Beginn erklärt: Man kann sich nicht zwischen Mutter und Vater entscheiden.»
Monira Djurdjevic (32): «Ich kritisiere das Verhalten der beiden Spieler»

«Für mich ist Heimat dort, wo ich mich wohl, geborgen und zugehörig fühle – wo ich mich mit den Werten, der Kultur und den Menschen identifizieren kann. Es ist schwierig, das Wort Heimat zu definieren, es ist mehr ein subjektives Gefühl und daher individuell.
Meine Heimat ist die Schweiz. Da ich aber einen serbischen Nachnamen habe, werde ich oft gefragt, woher ich komme. Wenn ich Schweiz oder Zürich sage, merke ich schnell, dass die Antwort nicht befriedigend war. Und so folgt auch gleich: «Ja, aber du hast ein -ic im Namen.» Dann muss ich mal wieder in einer Kurzfassung meine Lebensgeschichte erzählen: Dass meine Eltern ursprünglich aus Serbien stammen, meine Mutter mit 15 und mein Vater mit 22 Jahren in die Schweiz kamen, meine Schwester und ich hier geboren und aufgewachsen sind, wir zu Hause Schweizerdeutsch sprechen, nur selten nach Serbien reisen (ich war schon über zehn Jahre nicht mehr da) und ich mich als Schweizerin sehe, da ich mich weder mit Serbien identifizieren kann noch einen emotionalen Bezug zum Land habe.
Ich kann mich zwar auf Serbisch unterhalten, beherrsche die Sprache aber nicht perfekt. Meine Eltern haben keinen grossen Wert darauf gelegt: Mein Vater hat immer gesagt: «Wir sind in der Schweiz, sie muss perfekt Deutsch sprechen – serbisch kann sie so nebenbei lernen.» Ich habe auch keine serbischen Freunde – den grössten Teil machen Schweizer aus. Ich habe also keinen grossen Bezug zu meiner serbischen Herkunft und fühle mich deshalb ausschliesslich als Schweizerin.
Ich kann es aber verstehen, wenn Menschen nicht nur eine Heimat haben. Kulturen dürfen sich vermischen. Assimilation ist meiner Meinung nach nicht nötig. Eine gewisse Identifikation und Integration hingegen schon – vor allem wenn man die Schweizer Nationalmannschaft vertritt. Damit geht man eine gewisse Verantwortung ein und übernimmt eine Vorbildfunktion – so auch Shaqiri und Xhaka, die sich dem anscheinend nicht bewusst sind.
Ich bin kein grosser Fussballfan, habe aber das Spiel am Freitag trotzdem gespannt mitverfolgt – wie viele andere auch. Und wie viele war ich über die Art des Jubels überrascht. Die einen interpretieren es als Provokation, weil sie Serben sind, die anderen als Zugehörigkeit, weil sie Kosovaren oder Albaner sind. Und die Schweizer empfinden es eventuell einfach als unpassend, weil es nichts mit der Schweiz zu tun hat.
Ich bin da neutral eingestellt. Weder hat es mich persönlich betroffen noch gross aufgeregt. Trotzdem kritisiere ich das Verhalten der beiden Spieler. Nicht weil sie auf ihre kosovarisch-albanischen Wurzeln stolz sind, sondern weil sie ihre Herkunft auf dem Fussballfeld hervorheben müssen – und das in einer zurzeit angespannten Situation. Da sind politische Gesten völlig fehl am Platz. Sie hätten wissen müssen, was diese Geste auslösen wird. Es gibt andere Möglichkeiten zu jubeln – auch wenn Emotionen überschwappen.
Der Doppeladler-Jubel war daher unnötig und eine reine Provokation. Das haben die Leser-Kommentare, die nationale und internationale Medienberichterstattung und die Ausschreitungen nach dem Spiel gezeigt. Es wäre daher sinnvoll, solche Gesten auf dem Spielfeld strikt zu untersagen und wieder zum Wesentlichen zurückzukehren – dem Fussball. Den Fans, den Zuschauern und den Spielern wäre damit ein Gefallen getan.»