Finanzplatz: Würde die Schweiz von einem Brexit profitieren?

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FinanzplatzWürde die Schweiz von einem Brexit profitieren?

Die Briten entscheiden im Sommer über einen Ausstieg aus der EU. Dem hiesigen Finanzplatz könnte ein Brexit nützen. Doch auch die Konkurrenz hofft.

K. Wolfensberger
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K. Wolfensberger

EU-Gegner würden sich darüber freuen: über einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Diesen Sommer stimmen die Briten über den Verbleib im Staatenbund ab. Gerade für die Finanzmetropole London erwarten Analysten im Falle eines Austritts negative Konsequenzen. Banken könnten ihre Niederlassungen auf der Insel verkleinern und dafür jene auf dem EU-Festland vergrössern.

Laut der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» macht sich deshalb die deutsche Metropole Frankfurt Hoffnungen auf neue Jobs. Könnte auch der Schweizer Finanzplatz profitieren? Immerhin arbeiten in London etwa 700'000 Personen in der Finanzbranche. Würden nur zwei Prozent dieser Jobs in die Schweiz verlagert, entstünden knapp 15'000 neue Stellen.

«Kein einfaches Nullsummenspiel»

In Realität dürfte diese Rechnung allerdings etwas komplizierter sein. «Ein Brexit wäre kein Nullsummenspiel, bei dem die einen das gewinnen, was die anderen verlieren», sagt Peter Schwendner, Wirtschaftsdozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Ein Brexit würde auch nicht nur England, sondern ganz Europa schwächen. «Die Intensität der Schwächung können wir nicht vorhersehen, da es keinen vergleichbaren Fall gibt», so Schwendner.

Die Banken selbst äussern sich öffentlich kaum dazu, wie sie auf einen Brexit reagieren würden – zu heikel ist das Thema. Eine Ausnahme ist Christian Noyer, ehemaliger stellvertretender Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Er sagte kürzlich: «Bei einem Brexit können die Behörden der Eurozone nicht länger tolerieren, dass ein grosser Anteil von Finanztransaktionen im Ausland abgewickelt wird.» Was Noyer meint: London ist heute ein wichtiger Handelsplatz für die Gemeinschaftswährung Euro. Das wäre im Falle eines Brexit bald vorbei.

Auch Exportfirmen würden gehen

Die Schweiz könnte hiervon allerdings eher weniger profitieren, meint Experte Schwendner. Und in der Schweizer Finanzbranche seien seit der Krise allgemein vor allem die Regulatoren-, Anwalts- und Beratermandate gewachsen. «Solange im Kerngeschäft des Finanzplatzes weiter Kapazitäten abgebaut werden, wird der hiesige Finanzplatz von einem Brexit kaum unmittelbar profitieren», so der Dozent.

Allerdings würden im Falle eines EU-Ausstiegs wohl auch eine ganze Reihe europäischer Institutionen, IT- und Dienstleistungsfirmen, Forschungsinstitutionen sowie Exportunternehmen das Vereinigte Königreich verlassen. Ob das positive Auswirkungen für die Schweizer Wirtschaft haben könnte, liesse sich nur von Fall zu Fall beurteilen.

Vorteile nur beim Binnenmarkt

Den Briten müssten laut Schwendner trotzdem klar mit negativen Folgen leben, sollten sie sich für einen Brexit entscheiden: zum Beispiel mit einer höheren Inflation, höheren Finanzierungskosten sowie geringeren Exportchancen. Und weiter: «Vorteile gäbe es nur dort, wo für den britischen Binnenmarkt produziert wird. Bezahlen müssten das dann allerdings die britischen Konsumenten.»

Nicht so pessimistisch sieht das Matthias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). «Es gab eine Zeit vor der EU, und England funktionierte auch damals als Wirtschaftsstandort», sagt er. Das Vereinigte Königreich bleibe selbst ausserhalb der EU für Firmen ein attraktiver Markt, gibt er sich überzeugt. Zum Brexit-Wirbel sagt er: «Ich denke, hier wird übertrieben und der Teufel an die Wand gemalt.» Im Zweifelsfall liesse sich bestimmt eine pragmatische Lösung finden.

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