Schweizer Ex-Profi packt aus: «Würde man als Fussballer die Wahrheit sagen, bekäme man Probleme»

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Schweizer Ex-Profi packt aus«Würde man als Fussballer die Wahrheit sagen, bekäme man Probleme»

Machtspiele, Zwänge und Interviews hinter Masken: Fulvio Sulmoni kritisiert das System Fussball in einem Buch und spricht offen über fehlende Sensibilität.

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Seine Profikarriere begann der gebürtige Tessiner 2005 beim FC Lugano.  

Seine Profikarriere begann der gebürtige Tessiner 2005 beim FC Lugano.

Foto: Martin Meienberger (Freshfocus)
Weitere Stationen des Abwehrspielers: Locarno, Chiasso, Bellinzona und der FC Thun. 

Weitere Stationen des Abwehrspielers: Locarno, Chiasso, Bellinzona und der FC Thun.

Foto: Freshfocus
2018 hatte der Tessiner mit einer Tumorerkrankung zu kämpfen. 

2018 hatte der Tessiner mit einer Tumorerkrankung zu kämpfen.

Foto: Andy Müller (Freshfocus)

Darum gehts

  • Machtspiele à la GC und windige Berater schaden dem Sport.

  • Aber kaum ein Spieler spricht offen über das verzerrte System.

  • Nicht so Fulvio Sulmoni.

  • Der ehemalige Super-League-Verteidiger schaut kritisch auf 16 Profijahre zurück.

Über Fussball wird täglich viel berichtet. Spieler geben Interviews. Aber nur selten reden sie offen von den Machtspielen hinter den Kulissen, von empathielosen Trainern oder Sportchefs und von Beratern, die Eltern oder Spieler unter Druck setzen sollen, wie zum Beispiel erst am Dienstag bei den Grasshoppers publik wurde.

Nicht so Fulvio Sulmoni. Der ehemalige Thun- und Lugano-Verteidiger schaut kritisch auf 16 Profijahre zurück. Er tut dies in einem Buch «Piacere di averti conosciuto» (Es freut mich, dich kennengelernt zu haben) und in einem selten offenen und ehrlichen Interview in den Tamedia-Titeln (mit Bezahlschranke).

«Wenn man als Spieler die Wahrheit sagen würde, bekäme man automatisch Probleme mit dem Club, dem Trainer, den Verantwortlichen oder den Fans. Diese Interviews bringen gar nichts, die Spieler dürfen nie sagen, was sie wirklich denken», sagt der 34-Jährige. Er habe in all den Jahren gelernt, sich hinter einer Maske zu verstecken.

Trainer können Spieler fördern, aber auch zerstören

Gruppendynamik in einem Mannschaftssport sei Quatsch. «In Wahrheit ist es so: Morte tua, vita mia (dein Tod, mein Leben). Das heisst, der Egoismus ist beherrschend. In erster Linie spielt man für sich selber. Wenn du gut spielst, steigen deine Chancen, für nächstes Jahr einen lukrativen Vertrag bei einem anderen Club zu unterzeichnen, und dann geht es dir besser und deiner Familie. Das ist das Fundament des Systems Fussball, in allen Clubs auf der ganzen Welt.»

Auch Sulmoni habe sich danach richten müssen, wenn er auf der Ersatzbank landete. Er musste quasi darauf hoffen, dass es dem Team schlecht lief, sonst hätte er riskiert, eine geraume Zeit nicht mehr zum Einsatz zu kommen. «Dass ich so denken musste, hat mir sehr wehgetan.»

«Viele Trainer haben einen riesigen Mangel an emotionaler Intelligenz.»

Fulvio Sulmoni

Trainer haben viel Einfluss. Sie könnten Karrieren fördern, aber auch zerstören, sagt er im Interview weiter. «Vor allem können sie die Psyche eines Spielers sehr negativ beeinflussen, indem sie ihn so schlecht behandeln, dass sie ihm alle seine Qualitäten wegnehmen. Viele Trainer haben einen riesigen Mangel an emotionaler Intelligenz. Sie sind sich nicht bewusst, dass sie mit Menschen zu tun haben und nicht mit Ware. Sonst würden sie anders kommunizieren, empathischer und mit mehr Feeling.»

Keine Polemik

Schlaflose Nächte und Gereiztheit hätten ihm oft das Leben schwergemacht. Oft ging das so weit, dass er nicht einmal mehr die Stunden mit der Familie geniessen konnte. «Am Schluss habe ich den Fussball richtiggehend gehasst», sagt er im Interview. Im Sommer beendete der Verteidiger seine Profikarriere.

Weil sich aber in all den Jahren viele Emotionen aufgestaut hätten, habe er diese Gefühle in einem Buch aufgeschrieben, um sie besser zu verarbeiten. Er wolle keine Polemik, sondern sensibilisieren. «Ich schreibe nicht viel vom Fussball, wie er auf dem Platz gespielt wird, sondern von diesem System, das nicht mehr funktioniert. Das viele Geld im Fussball hat das Spiel zerstört. In der Schweiz sind die Summen nicht so hoch, aber im Ausland ist es ein wahres Desaster.»

Es gebe nur wenige Spieler, die eine grosse Karriere machen. Die meisten seien in einer ähnlichen Situation wie der Tessiner. «Wenn ich einigen Jungen und ihren Eltern helfen kann, dann hat sich das Buch schon gelohnt.» Die Träume wolle er den jungen Spielern aber nicht nehmen.

«Das viele Geld im Fussball hat das Spiel zerstört.»

Fulvio Sulmoni

Warum er nicht früher aus dem System ausgestiegen sei, wurde der ehemalige Verteidiger im Gespräch gefragt. Fünf-, sechsmal sei er kurz vor dem Rücktritt gestanden und habe sich auch bei Firmen beworben, lautet seine Antwort. «Ich habe mich dann aber immer entschlossen, neue Herausforderungen anzunehmen, habe auf neue Chancen gehofft, wurde aber jedes Mal enttäuscht. Vielleicht bin ich auch so lange dabei geblieben, weil ich seit meinem sechsten Lebensjahr praktisch jeden Tag Fussball gespielt hatte und mir nicht vorwerfen lassen wollte, nicht alles versucht zu haben.» Heute sei er glücklich mit seinem neuen Leben.

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