Risikofaktor ParodontitisZahnfleischentzündungen begünstigen schweren Covid-19-Verlauf
Nicht nur Übergewicht, Diabetes oder Rauchen erhöhen das Risiko dafür, dass Corona einen schwer trifft. Auch chronische Zahnfleischentzündungen beeinflussen den Covid-19-Verlauf negativ.
- von
- Fee Anabelle Riebeling
Darum gehts
Forschende haben einen neuen Risikofaktor für einen schweren Covid-19-Verlauf ausgemacht.
Ihnen zufolge erhöht chronisch entzündetes Zahnfleisch die Gefahr, bei einer Corona-Infektion auf der Intensivstation zu landen.
Auch das Sterberisiko steigt an: In der Studie starben Betroffene fast neunmal häufiger als diejenigen ohne Parodontitis.
80,9 Prozent der Covid-19-Infektionen nehmen einen milden Verlauf. 13,8 Prozent der Fälle sind dagegen ernst, 4,7 Prozent der Infektionen sogar lebensgefährlich: Die Betroffenen müssen im Spital behandelt oder gar auf der Intensivstation versorgt werden. Das Risiko für eine lebensgefährliche Entwicklung steigt, wenn gewisse Risikofaktoren bestehen. Dazu zählen Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, ein hohes Alter, das männliche Geschlecht und die Blutgruppe sowie die Gene. Aber auch Übergewicht und Nikotinabhängigkeit tragen ihren Teil dazu bei.
Forschende aus Katar verlängern die Liste der problematischen Faktoren nun: Wie das Team um Nadya Marouf von der Hamad Medical Corporation in Doha im «Journal of Clinical Periodontology» berichtet, besteht auch zwischen der Zahngesundheit und dem Verlauf von Covid-19 einen Zusammenhang. Demnach müssen Coronainfizierte mit Parodontitis im Schnitt 3,5-mal häufiger auf der Intensivstation behandelt und 4,5-mal häufiger beatmet werden als Covid-19-Patienten ohne bakterielle Entzündung des Zahnbettes.
Auch das Risiko, an Covid-19 zu sterben, erhöht sich durch die Erkrankung im Mund: Betroffene starben fast neunmal häufiger als diejenigen ohne Parodontitis.
Ablauf der Studie
Für ihre Studie hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Covid-19-Verlauf bei 568 Patienten, die zwischen Februar und Juli 2020 in Spitäler in Katar eingeliefert wurden, analysiert. Mithilfe von elektronischen Krankenakten konnten sie zudem nachvollziehen, ob und wie stark die Betroffenen unter Parodontitis litten. Bei 40 der Teilnehmer kam es im Zusammenhang mit Covid-19 zu Komplikationen, die zur Aufnahme auf der Intensivstation und zur Unterstützung der Atmung zwangen. Bei der Auswertung wurden Alter, Geschlecht, Nikotinkonsum und Body-Mass-Index der Patienten berücksichtigt.
Zum Zahnarzt zu gehen ist auch in der Pandemie wichtig
Wie genau Zahnfleischentzündungen den Verlauf von Covid-19 beeinflusst, ist noch unklar. Nach bisherigem Stand sind verschiedene Erklärungen denkbar. So könnten die im Mund freigesetzten Botenstoffe die systemischen Entzündungen und die Überreaktion des Immunsystems beim Zytokinsturm begünstigen, die bei schweren Coronaverläufen auftreten können. Es ist laut den Forschenden aber auch denkbar, dass die Parodontitis-Bakterien das Coronavirus oder die ACE2-Rezeptoren (siehe Box) beeinflussen – oder, dass sie in die Lunge gelangen oder dort zusätzliche Entzündungen auslösen.
ACE-2-Rezeptor
Der ACE2-Rezeptor gilt als das Einfallstor des neuartigen Coronavirus: Über ihn tritt Sars-CoV-2 in die Zelle ein. Er befindet sich jedoch nicht nur in der Lunge, sondern ist auch im Herz vorhanden. Somit können die Viren auch die Herzmuskelzellen befallen, wo sie für eine akute Schädigung des Herzmuskels sorgen können. In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass bei Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen häufig ein Biomarker im Blut erhöht war, der von zerstörten und sterbenden Herzmuskelzellen – wie es beispielsweise bei einem Herzinfarkt der Fall ist – freigesetzt wird.
«Dies kann zur Verschlechterung von Patienten mit Covid-19 beitragen und das Todesrisiko erhöhen», so Koautor Mariano Sanz von der Complutense-Universität Madrid in einer Mitteilung. Er empfiehlt daher, bei Covid-19-Patienten mit Parodontitis den Mundraum vor der Beatmung zu desinfizieren und bei ihnen orale Antiseptika zu verwenden. So könne die Übertragung von Bakterien aus dem Mund in den Rest des Körpers verringert werden.
Doch auch man selbst kann und sollte sich vorsehen, schreibt Bettina Dannewitz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie die Studienergebnisse, in einem Kommentar zur Studie. Sie rät dazu, zahnärztliche Kontrollen auch und besonders in der Pandemiesituation regelmässig in Anspruch zu nehmen, «um so vermeidbare Risikofaktoren für einen schweren Covid-Verlauf zu verhindern.»
Aber auch sonst lohnt es sich, seinen Beisserchen Sorge zu tragen: So hilft eine gute Mundhygiene etwa gegen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Und auch das Liebesleben profitiert davon, wie Forschende der Taipei Medical University im Jahr 2016 nachwiesen. Demnach scheint zwischen Parodontitis und Erektionsproblemen ein Zusammenhang zu bestehen.
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