Statt Wehrpflicht nur für MännerZwei Drittel wollen Bürgerdienst für Männer und Frauen
Ist die Wehrpflicht nur für Männer noch zeitgemäss? Der Bürgerdienst für alle stösst laut einer neuen Studie auf viel Zuspruch. Die Offiziersgesellschaft warnt.
- von
- Pascal Michel
Darum gehts
67 Prozent der Stimmberechtigten sprechen sich für einen Dienst für Männer und Frauen aus.
Dabei soll frei wählbar sein, ob jemand Militär, Zivildienst oder Sozialdienst leisten will.
Die Debatte über Gleichberechtigung schlage sich auch bei Armeefragen nieder, sagt ein Soziologe.
Die Offiziersgesellschaft warnt davor, vorschnelle Schlüsse zu ziehen.
Die Schweizer Armee wirbt gerne damit, dass sie auch für Frauen einen attraktiven Dienst bietet. Auf Social Media hat sie deshalb den Hashtag #teamarmee lanciert, Verteidigungsministerin Viola Amherd zog mit der jüngsten Kampfjetpilotin, Fanny Chollet, in den Abstimmungskampf, und dass eine Transfrau als Oberstleutnant amtet, erstaunt selbst in der Männerbastion Armee kaum jemanden mehr.
Dass sich die Institution in einem Wandel befindet, zeigt auch die neue Studie «Sicherheit 2021» der Militärakademie an der ETH Zürich. Denn während die Armee fleissig um Frauen wirbt und die Diversität vorantreibt, bleiben die bestehenden Strukturen unangetastet: Zum Dienst verpflichtet sind nur Männer, ein Dienst für Frauen und allgemein eine gleichwertige Alternative zum Militärdienst ist nicht vorhanden.
Zwang oder System mit Zukunft?
Hier sieht eine Mehrheit der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Handlungsbedarf: 67 Prozent gaben in der ETH-Befragung an, dass für Männer und Frauen ein obligatorischer Dienst eingeführt werden soll. Dabei sollten Männer und Frauen frei zwischen Militärdienst, Zivildienst oder einem Sozialdienst wählen können. Im Jahr 2011 stimmten dieser Aussage erst 52 Prozent sehr oder eher zu. Weniger Akzeptanz finden weitere Alternativen (siehe Grafik oben).
Als wichtigstes Argument für einen Bürgerdienst nennen die Befürworterinnen und Befürworter, dass mit diesem System die zukünftigen Herausforderungen, etwa bei Altenpflege, Sicherheit oder Umweltschutz gemeistert werden könnten. Kritikerinnen und Kritiker des Modells stimmen am meisten der Aussage zu, dass dies eine «unverhältnissmässige Zwangsverpflichtung» sei, die die persönliche Freiheit einschränke.
Gleichberechtigung auch in der Armee
Studienautor Tibor Szvircsev Tresch stellt fest, dass in den letzten sieben Jahren ein Umdenken in der Gesellschaft stattgefunden hat. Die Debatte über Gleichberechtigung schlage sich auch bei Armeefragen nieder. «Möglicherweise hat auch die Covid-Pandemie die Solidaritätsfrage nochmals in den Fokus gerückt», sagt Szvircsev Tresch zu 20 Minuten.
Er weist auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern hin: Frauen befürworten den Bürgerdienst etwas weniger oft als Männer (65 Prozent versus 70 Prozent). Auch finden deutlich mehr Frauen, das aktuelle Dienstmodell nur für Männer müsse mehr Auswahl bieten. Und Frauen fordern weniger oft als Männer, dass es die Wehrpflicht für Frauen braucht.
Wie ist das einzuordnen? Die Schlussfolgerung des Militärsoziologen: «Es scheint, dass viele Männer mit Blick auf Gleichbehandlung der Meinung sind, dass auch Frauen einen Dienst leisten sollen.» Frauen dagegen seien oft etwas zurückhaltender bei Modellen, von denen sie direkt betroffen wären.» Insgesamt sei die Zustimmung der Frauen zu einem Bürgerdienst für alle aber mit 65 Prozent hoch.
Offiziere warnen vor Bürgerdienst
Vor einem Schnellschuss bei der Anpassung der Dienstmodelle warnt Stefan Holenstein, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Er betont zwar, dass die grosse Bereitschaft für einen Bürgerdienst positiv zu werten sei. Aber: «Wir dürfen das bewährte Milizsystem nicht wegen einer Mode-Erscheinung über Bord werfen.»
Holenstein sieht beim Modell, bei dem Männer und Frauen zwischen Armee, Zivilschutz, Zivildienst oder Sozialdienst auswählen könnten, verschiedene Probleme. Erstens befürchtet er, dass die Armee nicht mehr genug Personal finden würde, weil Sicherheitspolitik und Verteidigung keine Priorität bei der Rekrutierung mehr hätten. Zweitens brauche es eine enorme Bürokratie mit massiven Mehrkosten, um die individuellen Einsätze zu koordinieren. «Ebenso stellt sich die Frage, ob es die Aufgabe des Staates ist, Freiwilligenarbeit durchzusetzen. Ein Bürgerdienst hätte zwar eine staatspolitische Funktion, sei aber nicht mehr sicherheitspolitisch ausgerichtet.»
Die Offiziersgesellschaft schlägt stattdessen Verbesserungen innerhalb des bestehenden Wehrpflichtsystems vor. Eine Idee ist, Zivildienst und Zivilschutz zusammenzulegen. Dabei würde sich der Zivilschutz auf Katastrophenschutz fokussieren, der Zivildienst sich eher auf Bereiche wie Gesundheit, Soziales oder Umwelt. Eine weitere Möglichkeit sei das sogenannte norwegische Modell, bei dem alle Schweizerinnen und Schweizer stellungspflichtig sind, aber nur diejenigen für den Dienst in Armee und Zivilschutz eingezogen werden, die es effektiv braucht.
Corona beschäftigte die Jugend
In ihrer Befragung wollten die Forscher auch herausfinden, welche Lebensbereiche durch die Corona-Pandemie am stärksten beeinträchtigt wurden. 74 Prozent gaben an, das eigene Freizeitverhalten sei am stärksten eingeschränkt worden. Eine grosse Mehrheit von 70 Prozent der Befragten berichtet, dass sie durch die Pandemie im Umgang mit ihren besten Kolleginnen und Kollegen betroffen waren. Daneben zeigte sich ein deutlicher Generationenkonflikt: Junge Erwachsene gaben deutlich öfter an, dass die Pandemie ihr Arbeitsleben stark betroffen habe. Ein Drittel der 18 – 29-Jährigen berichtet auch von einer psychischen Betroffenheit. Damit sind die jungen Erwachsenen häufiger als die anderen beiden Altersgruppen von psychischen Belastungen durch die Pandemie betroffen.
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