Tennis-Marathon: «Zwei Zombies, die Zuschauer fressen»

Aktualisiert

Tennis-Marathon«Zwei Zombies, die Zuschauer fressen»

Es war das verrückteste Spiel der Geschichte: Elf Stunden lang trieben John Isner und Nicolas Mahut vor einem Jahr in Wimbledon den Ball über das Netz. Nun kommt es zur Neuauflage des Duells.

von
M. Brand

Welcher Tennis-Fan erinnert sich nicht an den denkwürdigen Tag im Juli 2008, als Rafael Nadal Roger Federer in Wimbledon entthronte? Die Partie ging über fünf Sätze, wurde zwischenzeitlich immer wieder unterbrochen und endete schliesslich nach 4:50 Stunden reiner Spielzeit in tiefer Nacht unter Scheinwerferlicht mit dem Triumph des Mallorquiners. Dieser entschied den fünften Satz mit 9:7 Games für sich. Die Partie ging in die Geschichte ein - in erster Linie, weil es ein denkwürdiger Triumph Nadals war, zum anderen als «epischer Tennis-Marathon».

Doch im Vergleich mit dem, was sich der Amerikaner John Isner und der Franzose Nicolas Mahut letztes Jahr in Wimbledon lieferten, ist das epische Spiel zwischen Federer und Nadal ein Klacks. Auch die bisherigen Rekorde von 6:33 Stunden zwischen Fabrice Santoro und Arnaud Clément beim French Open 2004 und das 23:21 im Entscheidungssatz zwischen Mark Knowles/Daniel Nestor und Simon Aspelin/Tod Perry im Wimbledon-Doppel von 2006 kommen nicht annähernd an den Isner-Mahut-Marathon heran. Die beiden Erstrunden-Kontrahenten lieferten sich auf dem heiligen Rasen ein Duell von 11:05 Stunden. Die Partie endete schliesslich im fünften Satz mit 70:68 zu Gunsten des Amerikaners - musste aber zweimal über Nacht unterbrochen werden, da es spätabends schlicht zu Dunkel war um weiterzuspielen. Am zweiten Tag hatten die beiden alleine rund sieben Stunden mit dem fünften Satz verbracht - und sich beim Stand von 59:59 in die Federn verabschiedet. Möglich macht dies die Regelung, dass bei den Grand-Slam-Turnieren (ausser dem US Open) der fünfte Satz ausgespielt und nicht durch ein Tie-Break entschieden wird. Die Blicke aus der ganzen Welt richteten sich in der Folge auf die Fortsetzung der Partie am dritten Tag - die Tennis-Welt stand Kopf.

Es kommt zur Neuauflage

Und die Tennis-Götter haben kein Erbarmen mit den beiden Hauptdarstellern vom letzten Jahr: John Isner und Nicolas Mahut treffen beim am Montag beginnenden Wimbledon-Turnier in der ersten Runde erneut aufeinander. Wieder könnte es eng werden zwischen den beiden, denn im Vergleich zum Vorjahr haben sich der Amerikaner und der Franzose in der Weltrangliste um einiges angenähert. War Isner vor einem Jahr noch die Nummer 19, so ist er heute nur noch auf Platz 46 zu finden. Der damals unterlegene Mahut hat hingegen einen Sprung vom 148. auf den 99. Rang gemacht.

Das Leiden des Reporters

Blicken wir aber noch einmal zurück auf die unglaubliche Partie des letzten Jahres: Das Weltrekord-Spiel sorgte weltweit für Augenreiben. Wohl auch beim Reporter des britischen «Guardians», der am zweiten Tag des Tennis-Marathons offensichtlich lieber Fussball geschaut hätte. Er beschrieb im Live-Ticker wie er andere Journalisten «Nein, nein» schreien hörte und stellte fest, dass sie damit nicht die Partie zwischen Inser und Mahut meinten, sondern eine Szene bei der Partie England - Slowenien an der Fussball-WM in Südafrika.

Wenig später schrieb er: «Es ist vorbei. Es ist endlich vorbei. Es war ein langes, hartes Spiel und es verlangte den Spielern alles ab. Aber endlich haben wir ein Resultat.» Und dann fügte er an: «Ich rede übrigens hier von Fussball. England gewinnt gegen Slowenien 1:0 und übersteht die Gruppenphase. Das Isner-Mahut-Spiel ist immer noch im Gange: 24:24 im letzten Satz.»

Die Bitte um Hilfe von oben

Eine Stunde später, um 17.45 Uhr, haute der Reporter in die Tasten: «Es dämmert und schimmernde Luftbilder ziehen aus dem Kongo-Dschungel von Platz 18 auf. Für einen Moment habe ich geglaubt, Isner bricht ein. Der Mann kann seine Füsse kaum noch bewegen und Mahut hat immer noch einige kräftig aufspringende Returns auf Lager.» Eine gute halbe Stunde später philosophierte er weiter: «Ich frage mich, ob vielleicht ein Engel kommt und die beiden befreit. Ist das zu viel verlangt? Nur ein kleiner Engel mit weissen Flügeln und einem verständnisvollen Lächeln, der ihnen sagt, dass es okay sei, dass sie genug gelitten hätten und dass sie jetzt aufhören könnten. Der Engel könnte sie umarmen und ihre Stirn küssen und sie aufmuntern, ihr Racket beiseite zu legen. Und sie könnten alle gemeinsam zum Himmel fahren. John Isner, Nicolas Mahut und der liebenswürdige Engel.»

Der Wunsch des Reporters wurde bekanntlich nicht erhört. Gegen 21.30 Uhr beim Stand von 59:59 wurde der Arbeitstag von Isner und Mahut beendet. Schon am Tag zuvor war die Partie nach vier Sätzen ebenfalls wegen Einbruchs der Dunkelheit unterbrochen worden. Die beiden spielten am zweiten Tag keinen ganzen Satz durch, brauchten aber rund sieben Stunden. Sieben Stunden, die nicht nur den beiden Tennis-Assen, sondern auch dem Live-Tickerer des «Guardian» alles abverlangten. «Das war jenseits des Tennis. Ich glaube, das war auch jenseits des Überlebbaren. Für John Isner wäre es etwa beim Stand von 20:20 ratsam gewesen, aufzugeben. Und für Mahut wenig später. Der Rest des Spiels wurde von zwei untoten Zombies bestritten, die bei den Seitenwechseln die Zuschauer frassen.» Und nicht ganz unglücklich schloss der Reporter: «Ich bin morgen weg, wahrscheinlich liege ich irgendwo in einem Graben. Aber mein Kollege wird weiterberichten. Ich bin am Freitag zurück, wenn sich dieser letzte Satz wahrscheinlich im vierstelligen Resultat-Bereich befindet.»

So weit kam es dann bekanntlich nicht. John Isner gewann - wie eingangs erwähnt - den fünften Satz schliesslich nach elf Stunden und fünf Minuten mit 70:68. Wir sind gespannt, wie das nächste Duell zwischen den beiden auf dem heiligen Rasen von Wimbledon ausgehen wird ...

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