Krebsdiagnose bei Kindern: Zwei Mütter teilen ihre bewegenden Geschichten

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«Unbeschreiblich schwer»Zwei Mütter, zwei Töchter, eine Diagnose: Der Alltag mit Krebs

Die Schockdiagnose Krebs beim Kind stellt das Leben der ganzen Familie auf den Kopf. Zwei Mütter berichten von ihren Erfahrungen, Sorgen und wieso sie dennoch die Hoffnung nicht verlieren.

Darum gehts

  • Zwei Mütter geben Einblick in ihren Familienalltag, nachdem ihre Töchter an Krebs erkrankt sind.
  • Lorena (2) kämpft gegen den Blutkrebs Leukämie – Leana (10) hat einen Knochenkrebs, der in die Lunge streute.
  • Beide Familien mussten grosse Herausforderungen meistern: Sei es das Gefühl der Hilflosigkeit, Carearbeit oder finanzielle Probleme.
  • Trotzdem finden sie im Alltag immer wieder Momente der Freude und Hoffnung.

Lorena (2)

Lorenas Perlenkette ist schon über zwei Meter lang. Eine sogenannte Mutperle erhält sie nach jeder Krebsbehandlung im Spital. «Sie symbolisiert alles, was sie schon durchgemacht hat, und wie weit sie gekommen ist», sagt Mutter Danijela. Ihre Tochter war erst zwei Jahre alt, als sie die Diagnose Leukämie erhielt.

Die sogenannten Mutperlen symbolisieren, wie viele Krebsbehandlungen Lorena schon durchgemacht hat.
Die sogenannten Mutperlen symbolisieren, wie viele Krebsbehandlungen Lorena schon durchgemacht hat.20min/Dominic Forstenhauser

«In jenem Winter war sie immer wieder krank, hatte Fieber und kaum Lust zum Spielen.» Zuerst hätten sie die Ärzte beruhigt. Es sei normal, Kinder in diesem Alter seien öfter krank. Doch Danijelas Bauchgefühl sagte etwas anderes. «Als ich ihre Symptome googelte, deutete alles auf Leukämie hin.» Beim nächsten Arztbesuch verlangte sie deshalb einen Bluttest. «Wenn wir für alles Doktor Google fragen, wären wir wohl alle sterbenskrank», sagte der Arzt zuerst ablehnend. Das Resultat des Tests zeigte jedoch, er lag falsch. «Es war der 15. Januar 2024. Dieses Datum vergessen wir nie mehr.»

Die Kette von Lorena ist schon über zwei Meter lang, wie Vater Marko demonstriert.
Die Kette von Lorena ist schon über zwei Meter lang, wie Vater Marko demonstriert.20min/Dominic Forstenhauser

Dann ging alles schnell: Lorena wurde sofort ins Kinderspital Zürich eingewiesen und eine Bluttransfusion durchgeführt. Eine Woche später startete sie mit der Chemotherapie. Vater Marko blieb die Woche über bei Lorena im Spital – Danijela pendelte mehrmals täglich zwischen Spital und zu Hause hin und her. Ihre anderen drei Kinder mussten ebenfalls betreut werden.

Geplagt von Sorge – und einem Loch im Portemonnaie

Während neun Monaten unterzog sich das Mädchen einer intensiven Therapie. Heute muss sie nur noch einmal pro Woche zur Kontrolle. «Jeder Gang ins Spital ist mit einem mulmigen Bauchgefühl verbunden. Es ist unbeschreiblich schwer», sagt Danijela. Die ganze Familie leide unter der Unsicherheit: «Meine anderen Kinder fühlen sich wohl teilweise vernachlässigt – das zeigte sich auch in deren Schulleistungen.» Die Mutter plagten nicht nur die Sorgen, sondern auch ein schlechtes Gewissen.

Neben der Sorge um ihre jüngste Tochter plagte Danijela auch das Gefühl, ihre anderen Kinder zu vernachlässigen.
Neben der Sorge um ihre jüngste Tochter plagte Danijela auch das Gefühl, ihre anderen Kinder zu vernachlässigen.20min/Dominic Forstenhauser

Dazu kämen auch noch finanzielle Schwierigkeiten. Marko hatte kurz vor der Diagnose einen neuen Job begonnen. Durch die Betreuung der Kinder konnte er nicht mehr arbeiten gehen. «Wir erhielten 4000 Franken von der Kinderkrebsliga – dafür waren wir zwar sehr dankbar, aber weit reichte es nicht.» Irgendwann entschied sich Danijela deshalb, selbst eine Spendenaktion zu lancieren – das bescherte der Familie etwas Luft. Auch über die Unterstützung der Interessengemeinschaft für Familien mit drei und mehr Kindern (IG3Plus) ist die Familie bis heute dankbar. Seit September 2024 arbeitet Marko wieder 100 Prozent.

«Unser kleiner Sonnenschein»

Während die Eltern am Esstisch von ihrem Alltag erzählen, sitzt Lorena mit ihren Schwestern auf dem Sofa. Immer wieder kichern sie und Lorena schaut schelmisch zu den Erwachsenen. «Sie ist unser kleiner Sonnenschein», sagt Danijela liebevoll. «Lorena ist mit ihrem Schicksal immer sehr positiv umgegangen. Vielleicht liegt es daran, dass sie noch so klein ist, aber sie macht das unglaublich gut.»

Breit grinsend sitzt Lorena (Mitte) mit ihren älteren Schwestern Teodora (rechts) und Nina (links) auf dem Sofa.
Breit grinsend sitzt Lorena (Mitte) mit ihren älteren Schwestern Teodora (rechts) und Nina (links) auf dem Sofa.20min/Dominic Forstenhauser

Im Januar 2026 endet Lorenas Erhaltungs-Chemotherapie. Dann folgen rund drei Jahre engmaschiger Kontrollen – zuerst alle drei Wochen, dann monatlich, dann in grösseren Abständen. Währenddessen wird der Alltag der Familie normal weitergehen. Etwas, was die Familie schon heute lebt. «Am Wochenende feiert Lorena ihren Geburtstag. Sie wird vier und hat sich einen Erdbeerkuchen gewünscht.» Die Vorfreude der Familie auf das Fest im Schrebergarten ist deutlich. In solchen Momenten darf die Diagnose kurzzeitig in den Hintergrund rücken.

Trotz der Krankheit gibt es im Alltag der Familie immer wieder Momente, in denen die Diagnose kurzzeitig in den Hintergrund rücken darf.
Trotz der Krankheit gibt es im Alltag der Familie immer wieder Momente, in denen die Diagnose kurzzeitig in den Hintergrund rücken darf.20min/Dominic Forstenhauser

Kinder mit Krebs in der Schweiz

Leana (10)

Solche Momente geniesst auch Sarah. Auf die Frage, wie es ihnen geht, antwortet die Mutter: «Gut – den Umständen entsprechend.» Dabei hört Tochter Leana gespannt und sichtlich erfreut zu. Die 10-Jährige traut sich ab und zu auch mal, etwas selbst zu sagen, oftmals kuschelt sie sich aber lieber an ihre grosse Schwester, die neben ihr sitzt.

Leana kuschelt sich an ihre Schwester Alina, die ihr ermutigend zulächelt.
Leana kuschelt sich an ihre Schwester Alina, die ihr ermutigend zulächelt.20min/Dominic Forstenhauser

Leana hat Krebs – ein Zufallsbefund. Vor zwei Jahren zog sie sich bei einem Waldgeburtstag einen Oberschenkelbruch zu. Im Spital entdeckten die Ärzte im Knochen einen Tumor. «Als der Arzt um ein Uhr nachts aus dem OP kam und uns sagte, Leana hat Krebs, ist für uns eine Welt zusammengebrochen. Zuvor gab es keine Anzeichen», erzählt Sarah.

Sogleich wurde Leana von Biel nach Bern verlegt – dort begannen die Untersuchungen. Ende Januar 2024 kam der nächste Schock für die Familie: Das Bein mit dem Tumor musste amputiert werden – das sei die sicherste Variante, damit es keinen Rückfall gebe.

Vom Aufatmen zurück in die Realität

Sarah kämpfte mit dem Schicksal ihrer Tochter. «Ich wusste, ich konnte nichts gegen die Krankheit machen, und gleichzeitig zog es mir den Boden unter den Füssen weg.» In dieser Zeit gab ihr vor allem eine Person Halt: Leana. «Sie selbst hat nie mit ihrer Diagnose gehadert. Nicht, als ihre Haare ausgefallen sind oder als man ihr das Bein abnahm. Das gab mir die Kraft, ebenfalls stark zu bleiben.»

Wie ihre Tochter mit ihrem Schicksal umgeht, gab Sarah Kraft, ebenfalls stark zu bleiben.
Wie ihre Tochter mit ihrem Schicksal umgeht, gab Sarah Kraft, ebenfalls stark zu bleiben.20min/Dominic Forstenhauser

Nach der Chemotherapie habe die Ärztin zu Leana gesagt: «Du bist jetzt ein gesundes Mädchen», erinnert sich die Mutter. Doch dem war nicht so. Kurze Zeit später war klar: Der Krebs hatte in beide Lungenflügel gestreut. «Der Schock und die Angst waren riesig. Wir standen wieder am Anfang und dieses Mal wussten wir genau, was auf uns zukommt – das machte es noch schlimmer», sagt Sarah.

Alltagsmomente, die für immer bleiben

Im Juli 2025 hat Leana nun die letzten Zyklen der Chemotherapie abgeschlossen. Mit ihrer Beinprothese komme sie mittlerweile gut klar. Doch: «Das Leben wird nie mehr, wie es war», sagt Sarah. Sie und ihre älteste Tochter sind momentan krankgeschrieben, Leanas Vater arbeitet oft im Homeoffice. Mehrmals am Tag muss die 10-Jährige Medikamente gegen die Schmerzen nehmen – davon werde ihr oft schlecht, sie habe kaum Appetit.

Leanas Platz auf dem Sofa: Von hier aus schaut die 10-Jährige Serien, gamt oder kuschelt mit Rüde Pablo.
Leanas Platz auf dem Sofa: Von hier aus schaut die 10-Jährige Serien, gamt oder kuschelt mit Rüde Pablo.20min/Dominic Forstenhauser

Über die Tagesaktivitäten darf Leana entscheiden: «Oft sagt sie: Einfach in der Natur spazieren gehen – hier in der Umgebung, in Bern oder am Neuenburgersee.» So ist auch Rüde Pablo immer mit dabei. «Er ist für sie unglaublich wichtig», erzählt Sarah und Leana lächelt. Wenn das Wetter schlecht ist, bastelt Leana auch gerne, spielt Klavier oder mit der neuen Playstation. Jeden Tag versucht sie, die Zeit so gut wie möglich zu geniessen. Und auch ihre Familie ist dankbar für jede gemeinsame Stunde und für alle Erinnerungen, die für immer bleiben.

Jeden Tag geniessen Leana und Sarah, so gut es geht.
Jeden Tag geniessen Leana und Sarah, so gut es geht.20min/Dominic Forstenhauser

Hast du oder hat jemand, den du kennst, die Diagnose Krebs erhalten?

Hier findest du Hilfe:
KrebsInfo der Krebsliga, Tel. 0800 11 88 11
Peerplattform der Krebsliga
Kinderkrebs Schweiz – Informationsplattform für Betroffene und Angehörige

Melissa Greiter (mgr) arbeitet seit 2024 für 20 Minuten. Sie ist seit Februar 2025 Redaktorin im Ressort News, Wirtschaft und Videoreportagen.

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